Geschichten
Seit 1919 gestalten Frauen aktiv die politische Arbeit in ihrer Kommune, im Land und im Staat. Und der Einfluss der Frauen auf die Gesetzgebung macht sich bemerkbar: Die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert ist durchwoben von Meilensteinen auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Gesellschaft.
Im Grundgesetz wird die Gleichberechtigung von Frau und Mann verankert. Das Letztentscheidungsrecht des Mannes in der Ehe endet. Die Neue Frauenbewegung, die im Zusammenhang der Studierendenproteste entsteht, treibt mit außerparlamentarischem Engagement in Frauenzentren und Frauenhäuser gesellschaftliche Entwicklungen an. Die sogenannte Hausfrauenehe wird abgeschafft. Der Frauenanteil in den Parlamenten steigt durch eine Partei mit Frauenquote. Vergewaltigung in der Ehe wird zur Straftat. Die Durchsetzung der Gleichstellung wird zur staatlichen Aufgabe.
All diese Errungenschaften gehen auf die politische Arbeit von Frauen in allen Parlamenten zurück. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass Frauen in politischen Prozessen gleichberechtigt mitwirken.
Wir zeigen hier Kommunalpolitikerinnen mit ihren Anliegen, Interessen und Erfolgen im Kontext ihrer Zeit.
Frauen dürfen wählen! Das ist nur eine der vielen politischen Veränderungen, die das Jahr 1918 bringt. Die junge Weimarer Republik nimmt Form an, entwickelt sich und mitten in dieser politischen Selbstfindung: Politikerinnen, die lange für ihr Recht auf Mitbestimmung gekämpft haben und jetzt aktiv an der Gestaltung der politischen Gegenwart teilnehmen.
1919 ziehen Frauen zum ersten Mal in die politischen Gremien des Landes ein und sorgen für Veränderung. Im Reichstag erntet Marie Juchacz Verwunderung, weil sie ihre Rede mit den Worten „Meine Herren und meine Damen“ beginnt und damit auf das Ungleichgewicht in der Repräsentation hinweist.
Es ist übrigens die Heidelbergerin Marianne Weber, die am 15.Januar 1919 als erste Frau in einer gewählten Volksvertretung spricht. Sie eröffnet die Badische Verfassunggebende Volksversammlung. Im März 1919 überarbeiten sowohl der Württembergische als auch der Badische Landtag ihre Gemeindeordnungen, um das Frauenwahlrecht auch dort festzuschreiben. In beiden Gemeindeordnungen wird nun Staatsbürgern „ohne Unterschied des Geschlechts“ das aktive und passive Wahlrecht in der Gemeinde zugesprochen.
Die Frauen nehmen ihr Wahlrecht wahr. Wie viele genau, das lässt sich nicht immer mit Sicherheit sagen, aber bis 1933 sind in Baden mindestens 16 und in Württemberg mindestens 55 Frauen in der politischen Gestaltung ihrer Gemeinden aktiv. Einige von ihnen scheiden bald wieder aus den Gremien aus, für andere ist es der Beginn einer langen politischen Karriere. Beispielsweise für die Stuttgarterin Charlotte Armbruster, die von 1919 bis 1933 und dann wieder von 1945 bis 1949 im Gemeinderat sitzt. Diese Frauen wirken aktiv mit an der demokratischen Neuordnung des deutschen Südwesten nach 1918, sie leiten ihre Kommunen durch die Inflation, durch die Konsolidierung, erleben das Erstarken faschistischer Kräfte und die Weltwirtschaftskrise.
In dieser Zeit wird aber auch deutlich, dass das Wahlrecht zwar den Weg in die Politik ebnet, aber keine geschlechtergerechte Repräsentation garantiert. Denn gegen Ende der Weimarer Republik sinkt die Beteiligung von Frauen in den politischen Gremien wieder. Zu den Versuchen, gegen diesen Trend anzugehen, gehört beispielsweise die erste bekannte Frauenliste, die 1931 als Groß-Stuttgarter Frauenliste bei der Kommunalwahl antritt, aber keinen Sitz erringen kann.
Mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Januar 1933 endet die politische Mitbestimmung der Frauen. Ab 1933 erfolgt der Umbau der Weimarer Demokratie zur faschistischen Diktatur und die Neuordnung des öffentlichen Lebens nach den Grundsätzen der NS-Weltanschauung. Für Frauen bedeutet das eine Zurückdrängung ins Private, denn die moderne Politikerin, wie sie in den 1920ern entsteht, passt nicht zum propagierten NS-Weltbild.
Teil dieses Umbaus ist die sogenannte Gleichschaltung der Verwaltung und Organisation des Reichs. Die Landtage werden aufgelöst und nach den Verhältnissen der Reichstagswahl von 1933 neu gebildet. Abgeordnete der KPD werden direkt ausgeschlossen. Auch die Gemeinderäte werden aufgelöst und neu berufen. Noch gibt es Frauen in diesen Räten, aber de facto haben die Gemeinderäte von da an keine politische Kraft mehr.
Das Ende der kommunalen Mitbestimmung der Frauen erfolgt de iure 1935 mit dem Erlass der deutschen Gemeindeordnung. In ihr wird zum einen festgelegt, dass Gemeinderäte ernannt, nicht mehr gewählt werden, zum anderen, dass es sich dabei um „verdiente und erfahrene Männer“ handelt. Für die Gemeinderätinnen bedeutet das das Ende ihrer politischen Arbeit. Zahlreiche von ihnen sind Repressionen ausgesetzt: Paula Planck, von 1919 bis 1925 in Nürtingen für die SPD im Gemeinderat, kommt 1933 in Schutzhaft und anschließend ins Konzentrationslager Gotteszell bei Schwäbisch Gmünd. Der erzwungene Rückzug ins Private ist aber selten das Ende des sozialen oder gesellschaftlichen Engagements.
Nach 1945 folgt der Wiederaufbau, und zwar nicht nur der kriegszerstörten Städte, sondern vor allem auch der demokratischen Strukturen. Im Südwesten beginnt dieser Prozess mit den Kommunalwahlen im Frühjahr 1946. Viele Frauen nehmen die Chance wahr und wirken am Wiederaufbau des Landes und dem Ausbau der Gleichberechtigung von Männern und Frauen mit.
Schon im Januar 1946 finden die ersten Gemeinderatswahlen in den Besatzungszonen im deutschen Südwesten statt, denn: Der Wiederaufbau der Demokratie erfolgt von unten, argumentiert der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay. Nach 12 Jahren NS-Diktatur sollen die Badener*innen und Württemberger*innen wieder an demokratische Verantwortung herangeführt werden und dort wählen lernen, wo die Kandidierende persönlich bekannt, wo Politik greifbar und nachvollziehbar ist.
Und die Frauen knüpfen da an, wo sie 1933 aufhören mussten: 88 Frauen sind für die direkten Nachkriegsjahre im deutschen Südwesten bekannt. Einige von ihnen, wie Charlotte Armbruster in Stuttgart oder Paula Planck in Nürtingen, waren schon in den 1920ern Gemeinderätinnen. In vielen anderen Kommunen zieht 1946 zum ersten Mal eine Frau in den Gemeinderat ein. Und zwar nicht nur in den Städten oder stadtnahen Kommunen: Auch in Boxberg, Erbach oder Staufen gelingt Frauen der Schritt in den Rat.
Parallel kämpfen Frauen auf einer anderen politischen Ebene um Gleichberechtigung: 1949 erreicht die Juristin Elisabeth Selbert, dass die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Grundgesetz verankert wird. 1958 folgt das erste Gleichberechtigungsgesetz: Dem Mann wird das Letztentscheidungsrecht in der Ehe genommen und er darf nicht mehr eigenmächtig das Arbeitsverhältnis seiner Ehefrau kündigen.
Dennoch: Wer als Frau in der Kommunalpolitik erfolgreich sein will, hat Hürden zu überwinden. Denn das Ehrenamt ist zeitintensiv und fordert die Bereitschaft der Familie, die Frauen aus ihrer traditionellen Rolle heraustreten zu lassen. In der Gesellschaft der 1950er Jahre ist das nicht üblich und das öffentliche Leben und die Politik ist männlich dominiert. Im Bundestag sitzen in diesen Jahren zwischen 7% und 9% Frauen, im südwestdeutschen Landtag liegt die Beteiligung niedriger: von 5% (1952) geht der Frauenanteil auf 0,8% (1968) zurück.
In der Reaktion auf die Studentenproteste der 1968er entsteht in den 1970ern die sogenannte Neue Frauenbewegung und eine junge Generation Frauen drängt in die politische Öffentlichkeit. Mit den Grünen zieht 1983 eine Partei mit einer festen Frauenquote in den Bundestag ein. Andere Parteien ziehen nach. Gleichzeitig aber engagieren sich auch viele Frauen abseits des politischen Systems.
1968 ist vor allem deshalb ein Startschuss für die sogenannte Neue Frauenbewegung, weil sich die vielen berufstätigen oder studierenden jungen Frauen in einem überkommenen Gesellschaftsmodell gefangen fühlen, aber die Forderungen der – hauptsächliche männlichen – Protestführer der Studentenproteste ihre Belange nicht einschließen.
Deshalb organisieren sich die Frauen selbst, außerhalb der etablierten politischen Strukturen. Mit der Gründung von Frauenzentren und –häusern (das erste in Baden-Württemberg eröffnet 1978 in Reutlingen) organisieren sie sich selbst den Schutz, den der Gesetzgeber ihnen nicht gewährt. Ihr Aktivismus nimmt aber Einfluss auf die Politik. So beispielsweise die Kampagne gegen das Abtreibungsverbot, die 1976 zu einer Reform, wenn auch nicht der geforderten Abschaffung des §218 führt. 1977 wird das Eherecht schließlich dahingehend überarbeitet, dass die Ehefrau über ihre Berufstätigkeit selbst entscheiden darf – das längst überfällige Ende der sogenannten Hausfrauenehe.
Die Frauenbewegung politisiert aber auch auf kommunaler Ebene. In den 1970er Jahren gibt es in zahlreichen Kommunen die ersten Gemeinderätinnen. Und mit der Gründung der Grünen finden feministische Inhalte ihren Weg in die politischen Institutionen. Bereits bei der Kommunalwahl 1980 ziehen die ersten grünen Politiker*innen in die kommunalen Räte, in Freiburg beispielsweise vier Frauen. Sie verändern die politische Kultur, denn bei den Grünen gibt es von Beginn an eine Quote und als die Partei mit einem rein weiblichen Fraktionsvorstand sowie einer parteiinternen Frauenquote 1983 in den Bundestag einzieht, passen sich die anderen Parteien an: Die SPD beschließt 1988 eine Quote von 25% und im selben Jahr gründet sich die Frauenunion. In der Folge steigt die Frauenquote im Parlament insgesamt.
Auch in der Landespolitik macht sich die Veränderung bemerkbar: 1968 sind nur 0,8% der Abgeordneten Frauen. Als Reaktion darauf gründet sich der Landesfrauenrat Baden-Württemberg. Bis 1988 steigt dieser Wert auf immerhin 8,8% an. Außerdem bekommt Baden-Württemberg in dieser Zeit die erste Ministerin: Annemarie Griesinger wird 1972 von Ministerpräsident Hans Filbinger als Ministerin für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung ins Kabinett berufen.
Während bundespolitisch die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland vollzogen wird, zieht die erste Oberbürgermeisterin in ein Baden-Württembergisches Rathaus ein. Das Land geht entscheidende Schritte in Richtung Chancengleichheit mit dem Chancengleichheitsgesetz. Die Frauenlisten erleben einen neuen Aufschwung und der Anteil der Frauen in der Kommunalpolitik steigt – und trotzdem sind nach der Wahl 2014 in 22 Kommunen keine Frauen politisch beteiligt.
Mit Beate Weber-Schuerholz wird 1990 in Heidelberg zum ersten Mal in Baden-Württemberg eine Frau auf den Posten des Oberbürgermeisters gewählt. Bis 2004 bleibt sie Oberbürgermeisterin. Damit ist sie eine Ausnahme: in 1.101 Gemeinden des Landes gibt es 2019 nur sieben Oberbürgermeisterinnen und 76 Bürgermeisterinnen.
2005 wird das Gesetz zur Chancengleichheit im Öffentlichen Dienst verabschiedet, 2016 erneuert und in zahlreichen Kommunen gibt es Gleichstellungsbeauftragte. Eine geplante Reform des Landtagswahlrechts, die mehr Frauen ins Parlament hätte bringen sollen, scheitert aber 2018. Im Landtag Baden-Württembergs sitzen 2019 nur 35 Frauen und machen damit 24,5% der Abgeordneten aus. Baden-Württemberg ist damit das Schlusslicht im bundesweiten Vergleich. Deshalb bleibt die Parität in der Politik für Initiativen wie den Landesfrauenrat das erklärte Ziel. Um für die Kommunalwahl 2019 Kandidatinnen zu gewinnen, gibt es Angebote, die Frauen den Einstieg in die Kommunalpolitik mit Seminaren und Mentoring erleichtern sollen.
Aber auch für politisch engagierte Frauen ist es nach wie vor nicht einfach, auf die aussichtsreichen vorderen Listenplätze einer etablierten Partei zu kommen. Deshalb gibt es immer wieder Frauenlisten, denn in kleineren Kommunen ist eine reine Frauenliste ein guter Weg, um in den Gemeinderat zu kommen: 1931 in Stuttgart, 1949 in Tübingen, 1959 in Offenburg. In den 1990ern werden es mehr. 2014 haben sich in 24 Kommunen Frauenlisten zur Wahl gestellt, von 400 Kandidatinnen sind 66 (16,5%) in die Räte eingezogen. Insgesamt sind in den Gemeinderäten des Landes sind 23,9% Frauen vertreten. Bei den Kommunalwahlen 2019 steigt diese Quote leicht: jetzt machen Gemeinderätinnen 26,8% der Gewählten aus.
Bürger Union Kirchberg
Freie Liste Kirchberg (2014)