Gudrun Senta Wilhelm
Kirchberg
seit 1994
Bürger Union Kirchberg
Freie Liste Kirchberg (2014)
Autor/in: Gudrun Senta Wilhelm und Simone Schneider-Seebeck
Gudrun Senta Wilhelm war schon immer eine aktive Frau. Der Sport hat es ihr besonders angetan, vor allem dem Laufen gehört ihre Leidenschaft. Hier kommt es auf Durchhaltevermögen an, auf kluges Haushalten mit den Kräften. Man braucht einen langen Atem – so wie in der Politik. Als sich passenderweise die damals Vierzigjährige gerade bei einem Marathon aufhielt, ging die Anfrage bei ihr ein, ob sie nicht für der anstehende Gemeinderatswahl kandidieren wolle. Dies hat ihr sehr imponiert und so hatte Wilhelm sich spontan entschlossen, anzunehmen. Zu dieser Zeit saß keine Frau im 14-köpfigen Gremium und auch davor waren Frauen dort kaum präsent gewesen. Erst 1994 gab es wieder zwei weibliche Räte, eben Gudrun Senta Wilhelm und Edda Ulrich.
Gudrun Wilhelm wurde auf Anhieb in den Kirchberger Gemeinderat gewählt – mit den meisten Stimmen, die jemals ein Gemeinderat auf sich vereinen konnte. Sie gewann sozusagen die Goldmedaille, und das nicht nur einmal. Dreimal war sie Stimmenkönigin und zweimal errang sie die Silbermedaille mit den Zweitmeisten Stimmen. Die Themen im Gemeinderat fand und findet sie immer spannend, es gibt eigentlich nichts, was sie nicht interessiert. Und sie hat sich immer ordentlich reingekniet in ihre Arbeit. Die Zusammenarbeit im Gremium war ihrer Ansicht nach immer sehr gut und konstruktiv. Aus der Bevölkerung hat sie immer viel Zuspruch erfahren. Im Jahr 2014 gründete Gudrun Wilhelm ihre eigene Liste, die Freie Liste Kirchberg. Diese wurde als erste Kirchberger Liste paritätisch mit Frauen und Männern besetzt. Auf Anhieb schafften es drei der Kandidaten in das Kommunalparlament – Gudrun Wilhelm, Anita Kroll und Günter Wolf. Bei der letzten Wahl 2019 waren sogar acht von 14 Freie-Liste-Kandidaten weiblich, neben Gudrun Wilhelm zogen Manuela Vodopija und Martin Wolf in das Gremium ein.
Bis in die 1970er-Jahre war der Kirchberger Gemeinderat eine reine Männerdomäne. Erst 1971 kamen mit Ursula Graner und Klara Jeuk die ersten Frauen in den Rat. Von 1971 bis 1975 saßen sie im Gremium. 1975 folgten ihnen Elfriede Wolf-Schütt (bis 1980) und Erika Püttmer (bis 1980) nach. Letztere wurde im Oktober 1984 noch einmal für fünf Jahre gewählt. Maria Bergen gehörte dem Rat von 1980 bis 1984 an. 1994 war schließlich der Auftakt, es wurde nach fünf Jahren Frauenabstinenz wieder weiblicher mit der Wahl von Gudrun Wilhelm und Edda Ullrich. 1999 erhielten drei Frauen einen Sitz, neben Wilhelm gehörten Christhild Schenk (bis 2014) und Liane Bieber (bis 2016) dazu, mit Monika Piesch wurden es 2000 (bis 2004) vier weibliche Räte. Mit Beate Faißt (2004 bis 2014) erhöhte sich der Frauenanteil auf fünf. Bei der vorletzten Kommunalwahl 2014 erhielten Wilhelm, Bieber, Anita Kroll – 2016 folgte ihr Simone Schneider-Seebeck nach –, Andrea Weiler und Carola Maier einen Sitz, doch durch das Ausscheiden Biebers 2016 sank der Frauenanteil wieder auf vier Rätinnen, da ihr Platz von einem Mann besetzt wurde. Aktuell sind vier Frauen im Kirchberger Rat vertreten: Gudrun Wilhelm, Manuela Vodopija, Carola Maier und Andrea Weiler, neben zehn Männern.
Doch nicht nur in der Gemeindepolitik ist Wilhelm aktiv. Seit 1999 gehört Gudrun Wilhelm dem Kreisparlament an. Drei Jahre zuvor war sie zudem in die FDP eingetreten und wurde umgehend zur Vorsitzenden des Ortsvereins Backnanger Bucht gewählt. Im Kreistag war sie zunächst Mitglied im Jugendhilfeausschuss, ein bisher für sie neuer Themenbereich. Doch sie wäre nicht Gudrun Wilhelm, wenn sie das nicht besonders gereizt hätte - sofort war sie mit zuständigen Stellen in Kontakt getreten, hatte Termine gemacht, sich umfassend informiert und wurde innerhalb eines Jahres eine Expertin in Sachen Jugendhilfefragen. Das zeichnet Wilhelm aus: egal, um welches Thema es geht, sie nimmt es ernst, kniet sich rein, eignet sich das notwendige Wissen an.
Gudrun Senta Wilhelm hat es sich, unter anderem, zum Ziel gesetzt, Frauen bei ihrer politischen Arbeit zu ermutigen und zu unterstützen. Zu diesem Zweck hat sie 2003 gemeinsam mit sechs Mitstreiterinnen das Netzwerk Politik mit Frauen e.V. gegründet. Ziel der Vereinigung ist es, den Frauenanteil in politischen Gremien, egal ob kommunal, auf Landes- oder Bundesebene, zu erhöhen. Im Jahr 2013 wurde sie dafür mit dem LeaDeR-Preis der ALDE (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa) ausgezeichnet. Vor den baden-württembergischen Kommunalwahlen hatte 2002 die Landeszentrale für politische Bildung ein Projekt gestartet, um den Frauenanteil in den kommunalen Parlamenten durch Mentoring zu erhöhen. Das führte dazu, dass unter anderem im Rems-Murr-Kreis politisch engagierte Frauen sich über die Parteigrenzen hinweg zusammensetzten und zusammenarbeiteten. Aufgrund dieses Projekts zogen auf einmal alle, parteiunabhängig, an einem Strang – das Ziel war, mehr Frauen in die Politik zu bringen, und dieses Ziel ist heutzutage aktueller denn je. Landesweit stellten sich Mentorinnen zur Verfügung, um politisch ambitionierte Frauen zu unterstützen. „Damals hat man sich sehr gut kennen- und schätzengelernt“, erinnert sich Gudrun Wilhelm. Frau war sich bewusst, dass eine festere Struktur notwendig war, um auch nach den Wahlen weiterhin Kontakt und Austausch so intensiv pflegen zu können wie während des Projekts. Und so kam die Idee auf, einen Verein, ein politisches Netzwerk für Frauen zu gründen. Gegenwind kam von männlicher Seite, denn es wurde befürchtet, dass so Frauen von den Parteien abgezogen würden. Doch dies war nicht das Ziel. Das Netzwerk sollte überparteilich und überkonfessionell sein. Das spiegelt sich auch in der Zusammensetzung des Präsidiums wider. Im November trafen sich sieben Gründungsmitglieder und hoben Politik mit Frauen aus der Taufe. Zu ihnen gehörten unter anderem Roswitha Schwenk (CDU, Regional- und Stadträtin aus Fellbach), Katrin Altpeter (SPD, MdL, Kreisrätin, Sozial- und Arbeitsministerin), Ursula Jud (Freie Wähler, Gemeinderätin aus Urbach). Die FDP war durch Gudrun Wilhelm vertreten. Sie war die erste Präsidentin bis 2008 und dann wieder ab 2011. Zu dieser Zeit war eine Neustrukturierung des Vereins notwendig geworden. Neben den Netzwerk-Veranstaltungen wurden nun gemeinsame politische Bildungsreisen ins Programm aufgenommen, die sehr großen Anklang fanden, wie etwa in die Ukraine, nach Kroatien, Brüssel, Straßburg, Meißen. So weitete sich das Netzwerk deutschland- und selbst europaweit aus. Neben Präsidentin Wilhelm, Vizepräsidentin Brigitte Lösch MdL und Vizepräsidentin Ursula Kugler-Maier finden sich aktuell weitere prominente Politikerinnen im Präsidium, so etwa Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann und MdB Leni Breymaier.
Über das bisher 16-jährige Bestehen des Vereins sagt Gudrun Wilhelm rückblickend: „Wir haben positive und negative Erfahrungen mit dem Verein gemacht. Die Organisation der Veranstaltungen ist zum Teil recht aufwendig. Manche haben andere Vorstellungen von einem Netzwerk, doch für mich zeichnet es sich durch Unkompliziertheit aus, durch die Beiträge der Einzelnen. Wir haben auch tolle Frauen kennengelernt. Viele schätzen das Netzwerk und bringen spannende Impulse ein.“ Im Jahr 2013 erhielt Wilhelm den Leader-Award für ein europaweites Vorzeigeprojekt, mit dem es gelingt, Frauen in einem Netzwerk zusammenzuführen, ohne auf die Parteischiene zu schauen. Allerdings kann über das Netzwerk keine Karriere befördert werden, betont Wilhelm, es geht vielmehr darum, Kontakte zu knüpfen und auszubauen. 2016 war der Verein unter anderem ein Grund dafür, dass sie den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland erhalten hat. Heutzutage steht der Verein wieder vor neuen Herausforderungen – wie stellt man sich auf in den Zeiten des digitalen Wandels?
Seit mittlerweile 25 Jahren ist Gudrun Wilhelm auf verschiedene Ebenen politisch aktiv. Sie wird in der Öffentlichkeit erkannt. 2002 und 2017 kandidierte sie für den Bundestag, 2001 für den Landtag. Von 2014 bis 2019 saß sie im Regionalparlament. Ihr politisches Engagement ist Gudrun Wilhelm ein großes Anliegen, und sie möchte sich weiterhin dafür einsetzen, dass sich der Frauenanteil erhöht. „Ein gutes Netzwerk bleibt die Basis, um Frauen präsenter zu machen und in der Politik vorwärts zu bringen“, ist sie sich sicher. Ihre Kirchberger Liste soll nun ein Verein werden. Immerhin konnten acht von vierzehn Plätzen der Liste bei der letzten Wahl mit Frauen besetzt werden. Sie setzt sich auch für die Frauenquote ein, denn ihre eigenen Erfahrungen der letzten 25 Jahre haben gezeigt, dass es nicht nur auf gute Arbeit ankommt, um etwas zu erreichen. Um bestehende Strukturen aufzubrechen, ist permanenter Druck und permanente Präsenz notwendig. In der Politik haben Frauen bei weitem noch nicht die Parität erreicht. Die aktuellen Wahlergebnisse zeigen, dass es weiterhin notwendig ist, präsent zu sein, Rechte einzufordern, auch wenn es mühsam sein mag und man mit Gegenwind zu kämpfen hat. Doch eine passionierte Langstreckenläuferin lässt sich davon nicht abhalten. 2004 trug sie das olympische Feuer. Auch ein Olympionike braucht einen langen Atem, jeder Sportler geht an seine Grenzen, bis er das Ziel erreicht hat. Der ehemalige US-amerikanische Präsident Thomas Woodrow Wilson formulierte es so: „Wer keine Vision hat, vermag weder große Hoffnung zu erfüllen, noch große Vorhaben zu verwirklichen.“
Nachweise:
Fotos: Privat (Gudrun Senta Wilhelm)
Hinweis
Die Website www.ohne-unterschied.de ist eine Sammlung von Biografien und Erfahrungsberichten von Kommunalpolitikerinnen von 1919 bis heute. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge sind von deren Autorinnen aus einer persönlichen Sicht und Betroffenheit geschrieben. Dadurch entsteht ein vielfältiges Bild des Weges von Frauen in die Kommunalpolitik und ihrer Situation in den Gremien. Diese Meinungsbeiträge sollen Anstoß zu Diskussionen sein und spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg wider.
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