Ruth Schlegel

Mühlacker
1975-1999
SPD

Der frühe, plötzliche Tod ihres Mannes bedeutete für die engagierte Gewerkschafterin und Sozialdemokratin Ruth Schlegel zwar einen nur langsam zu verarbeitenden tiefen Einschnitt in ihrem Leben, aber auch die Hinwen­dung zu neuen Aufgaben für die Allgemeinheit, denen sie bis zu ihrem 70. Geburtstag treu blieb.

Am 25. September 1929 wurde Ruth Geiger in Sindelfingen als ältestes von fünf Kindern eines bei Daimler arbeitenden Schreiners geboren und besuchte nach der Grundschule noch zwei Jahre lang ein Internat mit Gymnasialzug in Freudenstadt, bevor sie – bedingt durch das Kriegsende 1945 und die wirtschaftlich schlechte Lage – ihre Schulausbildung abbrechen musste. Als einzige Möglichkeit einer Aus­bil­dung bot sich ihr eine Lehre als Damenschneiderin, die sie im Oktober 1948 mit der Gesellenprüfung abschloss. Danach arbeitete sie noch einige Monate in einer Herrenschneiderei. Da die Kursgebühren für die Meisterprüfung unerschwinglich waren, fing sie im Sommer 1949 in der Polsterei von Daimler an und fungierte schon bald im Betriebsrat als Vertrauensfrau vor allem für die Kolleginnen.

Mit ihrem Mann Siegfried, den sie nach gemeinsam verbrachten Schuljahren in der Nachkriegszeit bei den Naturfreunden wiedertraf und 1953 heiratete, verband Ruth Schlegel die schon vom Elternhaus vorgegebene sozialdemokratische Einstellung und das Interesse an der Gewerkschaftsarbeit. Der Jung-Lehrer verdiente zu dieser Zeit weniger als seine Frau in der Fabrik, doch musste Ruth Schle­gel diese Tätigkeit bald aufgeben, denn die junge Familie, zu der seit 1955 eine Tochter und seit 1958 ein Sohn gehörten, zog mehrfach um. 1965 wurde ihr Mann Rektor an der Grund- und Hauptschule in Lomersheim. Durch das gemeinsame Engagement im Kirchenchor und die Gemeinderatstätigkeit von Siegfried Schle­gel war das Ehepaar bald fest in den Ort integriert und baute sich ein Haus. Ruth Schlegel begann wieder stundenweise in der Änderungsschneiderei eines renommierten Pforzheimer Bekleidungsunter­neh­mens zu arbeiten.

Völlig über­raschend starb dann 1971 ihr Mann mit nur 42 Jahren, und die junge Witwe musste nicht nur mit ihrem Schmerz fertig werden, sondern auch mit beträchtlichen finanziellen Sorgen. So kam es ihr sehr gelegen, dass sie ihre Be­rufstätigkeit ausbauen konnte. 1973 wurde sie in den ersten Betriebsrat von Oberpaur gewählt und setzte sich hauptsächlich für Tariffragen und eine bessere Regelung der Arbeitszeiten ein.

Ruth Schlegel, die sich zwar als Christin bezeichnet, aber durchaus Kritik an der Institution Kirche übt, rückte 1973 in den Lomersheimer Kirchengemeinderat nach, dem sie bis 2001 – einige Zeit auch als Lai­envorsitzende – angehörte. In dieser Zeit häuften sich langsam, aber stetig ihre öffent­lichen Aufgaben. So wurde die bereits 1961 in die Partei eingetretene, zeitweilige Schriftführerin des SPD-Ortsverbandes 1975 als erste Sozialdemokratin zur Mühlacker Stadträtin gewählt. Bereits kurz nach ihrem Einzug in den Gemeinderat wurde die Lomersheimerin zur Zweiten ehrenamtlichen Stellvertreterin des Oberbürgermeisters ernannt, weil ein männlicher Kollege sich mit dieser Funktion nicht begnügen wollte. „Mühlacker unter der Fuchtel einer Frau“ titelte eine Zeitung süffisant, als Ruth Schlegel erstmals eine Gemeinderatssitzung leitete und eine Woche lang „Chefin“ mit Unterschriftsbefugnis im Rathaus war.

Ihren anfänglichen Selbstzweifeln be­gegnete die „unverbesserliche Optimistin“, wie sie sich selbst einmal genannt hat, mit der Maxime „Wem der Herr ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand“. Doch stets war sie sich bewusst, dass sie ihre im Lauf der Zeit immer zahlreicheren Ehrenämter in den verschiedensten Gremien und Vorständen, zu denen auch Funktionen als Kreisrätin, ehrenamtliche Beisitzerin bei der Kammer für Kriegsdienstverweigerung und ehrenamtliche Richterin am Verwaltungsgericht zählten, wohl nicht übernommen hätte, wenn ihr Mann noch gelebt hätte. Er ge­stand seiner Frau zwar eine ge­wisse Selbstständigkeit in der Ehe zu, aber wäre sicher nicht mit ihrer drei- oder viermaligen Abwe­senheit pro Woche einverstanden gewesen.

Neben den umfangreichen Beschlüs­sen zur Stadtkernsanierung und B-10-Verlegung hebt die bekennende Pazifistin Ruth Schle­gel den Beschluss für eine atomwaffenfreie Zone in Mühlacker (s. a. Elisabeth Brändle-Zeile) aus ihrer Gemeinderatstätigkeit hervor. Daneben war ihr die fraktionsübergreifende Zusammenarbeit speziell der weiblichen Stadträte in sozialen Fragen wie der Schaffung von Kindergärten wichtig – ein Aspekt, den Erika Gerlach ebenso betont.

Für ihr vielfältiges ehrenamtliches En­gagement wurde Ruth Schlegel im Dezember 1994 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Als sie im Herbst 1999 aus dem Gemeinderat ausschied, gab sie ihren Sitz an ihre Tochter Anne-Ruth weiter. Ruth Schlegels Enkelin Marie-Sophie wiederum löste 2017 im Rats­saal ihre Mutter ab und setzt damit die Tradition der SPD-Stadträtinnen bereits in dritter Generation fort, die seit 1975 bis heute fast ungebrochen besteht.


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