Maria von Graimberg

Heidelberg
1919-1933
Zentrum

Maria von Graimberg – Pionierin weiblicher Bildung, Schulgründerin und katholische Stadtverordnete in Heidelberg

Maria von Graimberg, mit vollem Namen Maria Antoinette Josephine Theresia Franziska Gräfin von Graimberg-Bellau, wurde am 8. Juli 1879 als ältestes Kind von Anna und Philbert von Graimberg im südhessischen Bensheim geboren. Ihr Großvater war der Wahl-Heidelberger Künstler Charles de Graimberg, der maßgeblich zum Erhalt der Schlossruine Heidelberg als Denkmal beitrug. Nach ihrer Ausbildung an einer Schule für höhere Töchter und einem Mädchenpensionat erlangte die junge Maria nach dem Tod ihres Vaters zunächst ein Diplom als Französischlehrerin. Damit machte sie früh schon klar, dass sie sich nicht mit einer Rolle als „höhere Tochter“ in der Ehe abfinden, sondern stattdessen selbstbestimmt ihren Weg wählen und eine eigene Lebensperspektive entwickeln wollte. Im Mai 1900 zog Maria zu ihrer Tante Josephine von Graimberg nach Heidelberg in das Palais Graimberg am Kornmarkt 5.

Als Adelige fühlte sich die Familie stark der sozial-karitativen Arbeit verpflichtet. Maria von Graimberg war der festen Überzeugung, ihren katholischen Glauben und ihr soziales Engagement verbinden und dabei Frauen eine Möglichkeit zu höherer Bildung wie auch einen Einstieg ins Erwerbsleben bieten zu können. Ihr Ziel war die Gründung einer religiös ausgerichteten sozialen Ausbildungsstätte für bürgerliche Frauen. Durch die Folgen der Industrialisierung war in Deutschland um die Wende zum 20. Jahrhundert im Bereich der Armenfürsorge eine stärkere Professionalisierung notwendig geworden, die zugleich Frauen ein neues Betätigungsfeld bot.

1911 eröffnete die gut dreißigjährige Maria von Graimberg aus eigenen Mitteln die Katholische Soziale Frauenschule im Heidelberger Palais Graimberg. Die Anfänge waren mit nur drei Schülerinnen und einer Lehrerin sehr bescheiden. In der Lehre wurden dabei Theorie und Praxis der sozialen Arbeit verknüpft. Ab 1920 wurde die Schule auch für evangelische und jüdische Schülerinnen geöffnet. Ziel der Einrichtung war es, neben der Ausbildung von fachlich exzellent geschulten und praxiserprobten „Fürsorgerinnen“ auch die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Frauen voranzubringen und ein spezifisches Berufsethos zu vermitteln.

1916 wirkte Maria von Graimberg bei der Gründung des Berufsverbands für katholische Sozialbeamtinnen mit und sprach in der Folgezeit immer wieder als Referentin bei Kongressen und Zusammenkünften katholischer Organisationen. Nach der Revolution 1918 und der Gründung der ersten parlamentarischen Republik in Deutschland widmete sie sich der Aufgabe der politischen Frauenbildung, auch über den Kreis ihrer eigenen Schülerinnen hinaus. Sie sollten zur Partizipation im neuen demokratischen Staat und zur Wahrnehmung des im November 1918 erkämpften Frauenwahlrechts befähigt werden. So fuhren Graimbergs Oberstufen-Schülerinnen in das ländliche Umland Heidelbergs, um andere Frauen dort zur Ausübung des neu eingeführten Wahlrechts zu ermutigen.

Aber auch Maria von Graimberg selbst übernahm Verantwortung für die noch junge Demokratie. So wurde sie 1919 bei der ersten demokratischen Wahl des Heidelberger Stadtrates neben 12 anderen Frauen zu einer der ersten weiblichen Stadtverordneten gewählt. Sie war Mitglied der katholischen Zentrumspartei, brachte sich dort in die Parteipolitik ein und hatte sich auf Listenplatz 16 aufstellen lassen. Damals wurden noch 96 Stadtverordnete durch die Heidelberger Bürger*innen gewählt, aus deren Kreis der 18köpfige Stadtrat als ein vorsitzendes Gremium hervorging. Auch der Oberbürgermeister wurde durch die Stadtverordneten gewählt. Maria von Graimberg war bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 Stadtverordnete und wirkte aktiv im Bürgerausschuss mit. Da unter dem NS-Regime das passive Wahlrecht für Frauen abgeschafft wurde, endete 1933 die kommunalpolitische Präsenz von Frauen weitgehend. Auch die kommunalpolitische Laufbahn Maria von Graimbergs fand damit ein abruptes Ende.

Die faschistische NS-Herrschaft bedeutete auch große Einschnitte für die pädagogische Arbeit Maria von Graimbergs und ihre Katholische Soziale Frauenschule. So stellte sich die Schulleiterin resolut und tapfer dem Durchgriff des neuen Regimes in ihre Schule entgegen und versuchte gleichzeitig, deren Betrieb aufrechtzuerhalten. Sie ließ zwar zu, dass neue Fächer wie Rassenkunde und Nationalpolitik in ihren Unterricht Einzug erhielten, die entsprechenden Inhalte wurden jedoch in der Praxis stets mit deren Unvereinbarkeit zum katholischen Glauben kontrastiert. Mit diesem kurvigen Kurs zwischen Umgehen oder oberflächlicher Einhaltung der neuen Regeln bei gleichzeitigem Festhalten an ihren Idealen, leitete Maria von Graimberg die Schule weiter. Jedoch stand sie als gläubige Katholikin der Ideologie der Nazi-Diktatur entgegen.

Maria von Graimberg schützte überdies von der NS-Gewaltherrschaft bedrohte Menschen: Sie setzte sich unter anderen für den Verbleib jüdischer Schülerinnen an ihrer Schule ein und unterstützte diese finanziell. Nachdem sie durch die Stadt Heidelberg aufgefordert wurde, einem alten jüdischen Ehepaar, das zur Miete in einer Parterrewohnung des Palais Graimberg lebte, zu kündigen, widersetzte sie sich erfolgreich, bis das Paar aus Altersgründen verstorben war. Auch unterstützte sie ab 1940 mehrere jüdische Heidelberger*innen dabei, der Deportation zu entgehen, indem sie diesen Unterschlupf in ihrem Haus am Kornmarkt gewährte, das als geschäftiger Standort im Herzen der Stadt ideal für diesen Zweck war. Maria von Graimberg unterhielt auch Kontakte zum Heidelberger Pfarrer Hermann Maas, der Gegner der Nationalsozialisten war und zahlreichen jüdischen Menschen zur Flucht verhalf. Außerdem pflegte sie eine geheime Bibliothek mit verbotener „sozialer Literatur“ in den antiquarischen Schränken ihres Großvaters, die sie Schülerinnen und Vertrauten heimlich zugänglich machte.

Als die Schließung der Graimbergschen Schule unabwendbar schien, gelang es Maria von Graimberg im Frühjahr 1944 nur noch durch die Übereignung der Einrichtung wie auch des Palais Graimberg an die Caritas, den Erhalt der Schule über den Krieg hinweg zu sichern. Im Gegenzug erhielt sie eine Leibrente und das lebenslange Wohnrecht zugesprochen und konnte so ihr Lebenswerk erhalten. Kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs soll sie noch vergeblich persönlich versucht haben, die teilweise Sprengung der Alten Brücke, einem Wahrzeichens Heidelbergs, zu verhindern, indem sie vehement beim Wehrmachtskommando vorsprach.

Unmittelbar nach der Befreiung vom Nationalsozialismus im Jahr 1945 erhielt Maria von Graimberg von der amerikanischen Militärregierung die vorläufige Genehmigung zur Weiterführung der Katholischen Sozialen Frauenschule. Schließlich legte sie nach 39 Jahren an der Spitze der Einrichtung 1950 ihr Amt als Schulleiterin nieder. Maria von Graimberg hatte die Schule dank ihrer unerschrockenen und zielstrebigen Haltung durch vier politische Systeme und mehrfach drohende Schließungen geführt. In diesem Zeitraum wurden dort unter ihrer Leitung über tausend Sozialarbeiterinnen ausgebildet. Die Schule wurde schließlich Teil der Fachhochschule des Caritasverbands in Freiburg und nach dem Tod Maria von Graimbergs nach dieser benannt. Inzwischen ist die Einrichtung vollständig Teil der Katholischen Hochschule für Soziale Arbeit am Standort Freiburg.

Bereits im Jahr 1931 hatte Maria von Graimberg für ihre besonderen Leistungen den päpstlichen Orden „Pro ecclesia et pontifice“ erhalten. 1959 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. An ihrem 85. Geburtstag wurde Maria von Graimberg als zweite Frau Ehrenbürgerin der Stadt Heidelberg. Vor ihr war diese Ehre nur Anna Blum, der Heidelberger Pionierin der ersten Frauenbewegung, zuteilgeworden.

Eine besondere Beziehung verband Maria von Graimberg ihr ganzes Leben mit ihrer Wegbegleiterin und „schwesterlichen Freundin“ Theodora Aberle. Sie war als eine der erste fünf Schülerinnen im Gründungsjahr an die Katholische Soziale Frauenschule gekommen und blieb nach ihrer Ausbildung dort zunächst als Schulsekretärin. Nach dem Studium der Nationalökonomie in Köln kehrte sie dann jedoch als hauptamtliche Lehrerin an ihren Ausbildungsort zurück und war zeitlebens eine zentrale Säule der Einrichtung. Sie und Maria von Graimberg blieben durch ihr Engagement, den Kampf um den Erhalt der Schule im Nationalsozialismus und das gemeinsame Zusammenleben fest verbunden. So versuchte Maria von Graimberg im Erbvertrag an die Caritas, auch für Theodora Aberle das lebenslange Wohnrecht im Kornmarkt 5 zu erwirken, jedoch wurde diese dort offiziell nur geduldet. Schließlich verfügte Maria von Graimberg in ihrem Testament, dass für „Frl. Thea Aberle“ und sie gemeinsam die Totenmesse gelesen werden sollte. Da Maria von Graimberg nie geheiratet oder Kinder bekommen hat, endete mit ihrem Tod am 14. Juni 1965 die Linie Graimberg-Belleau in Heidelberg. Maria von Graimberg liegt gemeinsam mit Theodora Aberle, die ein Jahr vor ihr verstarb und deren Tod für sie wohl nicht zu verkraften war, im Familiengrab der von Graimbergs auf dem Heidelberger Bergfriedhof.

Niklas Kühnberger

Bildnachweis: Stadtarchiv Heidelberg, Bildarchiv 4608


Literatur

Berger, Manfred (2003): Graimberg-Belleau, Maria Antoinette Josephine Theresia Franziska Gräfin von. In: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 21. Herzberg, S. 517–526

Scheidle, Ilona (1996): "Sie schätzten einander" – oder: Freundinnen – ein zeitloses Thema ganz zeitgebunden. In: Petra Nellen (Hg.): Die Vergangenheit ist die Schwester der Zukunft. 800 Jahre Frauenstadtgeschichte in Heidelberg. Ubstadt-Weiher, S. 80–95

Scheidle, Ilona (1996): Vom landesmütterlichen Regiment zur bürgerlichen Massenorganisation: Der Badische Frauenverein – Zweigverein Heidelberg. In: Petra Nellen (Hg.): Die Vergangenheit ist die Schwester der Zukunft. 800 Jahre Frauenstadtgeschichte in Heidelberg. Ubstadt-Weiher, S. 240–253

Scheidle, Ilona (2006): Heidelbergerinnen, die Geschichte schrieben. Frauenporträts aus fünf Jahrhunderten. Kreuzlingen, München

Stadtbuch der Stadt Heidelberg nebst den Stadtteilen Handschuhsheim, Kirchheim, Wieblingen, der Siedlung Pfaffengrund und dem angrenzenden Teile der Gemeinde Rohrbach für das Jahr 1922 (1922). Heidelberg

Stadtverordnetenwahl (1919). In: Heidelberger Zeitung, 24.05.1919 (61), S. 740

Zeller, Susanne (1989): Maria von Graimberg. Vierzig Jahre Sozialarbeiterinnenausbildung in Heidelberg. Freiburg im Breisgau

Zeller, Susanne (2013): Maria von Graimberg. Widerstand in der sozialen Arbeit. In: Soziale Arbeit 62 (11), S. 466–467

Zeller, Susanne (2020): Graimberg, Maria von. Gründerin der ersten Katholisch Sozialen Frauenschule in Deutschland. In: Hugo Maier (Hg.): Who is who der Sozialen Arbeit. 1. Auflage. Freiburg, S. 213–214


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