Elisabeth Brändle-Zeile

Mühlacker
1984-1989
Grüne

Elisabeth Brändle-Zeile war eine für ihre Generation un­gewöhnliche Frau, die durch ihr frühes Engagement für die Frie­densbewegung und die histo­risch-kriti­sche Auseinanderset­zung mit dem Schicksal verfolgter Bevölkerungs­grup­pen in der NS-Zeit hervorgetreten ist.

Geboren wurde sie in Mühlacker, wo sie dann auch ihr ganzes Leben verbrachte, am 23. Januar 1922 als äl­te­stes Kind des Ingenieurs Heinrich Brändle und seiner Frau Johanna, geb. Haug. Der einzige Bruder fiel mit 19 Jahren 1944 an der Westfront.

Der Vater betrieb seit 1929 die Firma „Primus Apparatebau“ für Auto- und Radiosicherungen in der Lindachstraße, wo Elisabeth auf Wunsch der Eltern nach vier Jahren Gymnasium von 1936 bis 1939 eine kaufmännische Lehre absolvierte. Von nun an war sie im florierenden elterlichen Betrieb für Buchhaltung, Schriftverkehr, das Rech­nungswesen und die Abwicklung der Exportgeschäfte zuständig und deshalb auch vom Reichsarbeitsdienst befreit.1944 heiratete Elisabeth Brändle den späteren Ingenieur Helmut Zeile. Zwi­schen 1945 und 1954 wurden zwei Töchter und ein Sohn geboren, doch dann zerbrach die Ehe im Jahr 1958.

Bis 1962, als ihr Vater altershalber die Firma aufgab, konnte Elisabeth Brändle-Zeile ihren Lebensunterhalt als Buchhalterin verdienen, danach lebte sie von Mieteinkünften und bewirtschaftete einen großen Garten. Als dann alle drei Kinder ihre Studien beendet hatten, wuchs in ihr der Wunsch, ihre eigene Schulbildung, die sie trotz bester Zeugnisse in den 1930er Jahren nicht hatte vollenden können, weiter voranzutreiben. Mit großem Fleiß und sehr viel Selbstdisziplin absolvierte sie von 1971 bis 1981 einen dreijährigen Abiturkurs und war Gasthörerin an der philosophischen Fakultät der Universität Stuttgart. Auch die Prüfungen der Funkkollegs in Geschichte, Pädagogischer Psychologie, Sozialem Wandel und Praktischer Philosophie/Ethik bestand sie mit guten Noten.

Der frühe Kriegstod ihres Bruders bewog Elisabeth Brändle-Zeile bereits in den 1960er Jahren, sich in der entstehenden Friedensbewegung zu engagieren, an Ostermärschen und vielen Friedensdemon­strationen teilzunehmen und sich 1965 am Bun­destagswahlkampf der „Deutschen Friedens-Union“ zu beteiligen. Mit sehr viel Enthusiasmus verfasste sie 1975 (Jahr der Frau) einen „Aufruf für Frauensolidarität“, der von 200 teils prominenten Frauen aus der Bundesrepublik, Österreich und Italien unterschrieben und an die UNO in New York weitergeleitet wurde. Als Quintessenz dieser Aktionen erarbeitete die Mühlackerin 33 Lebensbilder von Frauen aus Vergangenheit und Gegenwart, die 1983 unter dem Titel „Seit 90 Jahren. Frauen für den Frieden“ als Buch veröffentlicht wurden.

Elisabeth Brändle-Zeile trat im Lauf der Zeit über 20 Vereinigungen und Organisationen aus den Bereichen Um­weltpolitik und Frieden bei. Seit 1983 war sie auch Mitglied der Grünen und wirkte noch im selben Jahr an der Gründung eines Mühlacker Ortsverban­des mit. 1984 wurde sie – zusam­men mit ihrer Tochter Doro­thee Wieland – in den Gemeinderat gewählt, dem sie bis 1989 angehörte. In dieser Zeit war sie u. a. an den entscheidenden Weichenstellungen für eine neue Stadtmitte beteiligt. Trotz ihrer generell positiven Einstellung erlebte sie in der Funktion als Stadträtin auch manche Enttäuschung, wenn sie sich für umweltpolitische Ziele einsetzte.

Nach ihrem altersbedingten Ausscheiden aus dem Gemeinderat wid­mete sich die begeisterte Bergwanderin und Bienenzüchterin verstärkt lokalgeschichtlichen Studien. Im Mittelpunkt ihrer Arbeiten, die in den „Beiträgen zur Geschichte der Stadt Mühl­acker“ veröffentlicht wurden, stand immer der Mensch mit seinem ganz persönlichen Schicksal und den Auswirkungen des historischen Geschehens auf die individuellen Lebensumstände. Beispielhaft für diesen Ansatz sei die von ihr verfasste Biografie über den legendären Baron Müller genannt.

Die Vorkämpferin für Frieden und Gerechtigkeit interessierte sich vorwiegend für in der NS-Zeit verfolgte Bevölkerungsgruppen. Neben den Opfern, die aus politischen oder weltanschaulichen Gründen vielerlei Restriktionen erlitten, hat sie vor allem das Schicksal der jüdischen Mitbürger aufgearbeitet. Außerdem schilderte sie die Auswirkungen der Luftangriffe auf Mühlacker im Zweiten Weltkrieg. Dabei griff sie sozial- und friedenspolitisch relevante Ereignisse und Entwicklungen bereits zu einer Zeit auf, als diese noch gar nicht breiter öffentlich diskutiert wurden. So erforschte sie die Lebensumstände der Zwangs­arbeiter in Mühlacker schon, als der Entschädigungsfonds der Bundesregierung für diese Menschen noch nicht einmal angedacht war. Ihre Quellenarbeit in den Mühlacker Beständen half dem Stadtarchiv später bei der Beantwortung von Anfragen zur Entschädigung osteuropäischer Zwangsarbeiter.

 

Elisabeth Brändle-Zeile, die sich nie selbst in den Vordergrund stellte, aber immer entschieden für ihre humanitären Ziele eintrat, wurde 2002 durch Regierungspräsidentin Gerlinde Hämmerle mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Sie starb am 24. Oktober 2009 in ihrer Heimatstadt.

 

 

 

 

 


Nachweise:

Foto: G. Maresch


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