20 Jahre lang war Ursula Suermann Gemeinderätin in der Gemeinde Heddesbach im Rhein-Neckar-Kreis. Sie hat viele Projekte in der Zeit angestoßen – und betreibt diese auch nach ihrem Abschied aus der Kommunalpolitik 2014 weiter.

Der Anlass, sich kommunalpolitisch einzubringen, war für die 1989 aus Essen/Ruhr zugezogene Suermann ein ganz konkreter: in Heddesbach (470 Einwohner) gibt es keine weiterführende Schule, weshalb die Schüler nach Eberbach bzw. ins hessische Waldmichelbach fahren. Allerdings war die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln in den frühen 90ern denkbar schlecht: mit den Linienbussen konnten die Kinder nur sehr früh fahren und waren dadurch immer zu früh in der Schule. Auch die Möglichkeiten zur Fahrt nach Hause waren eingeschränkt. Alle abweichenden Schulzeiten wie Mittagsschule oder Unterrichtsausfall waren ein Problem. Nicht nur für die Eltern, auch für die Schule, die die Beaufsichtigung der Kinder schon vor der ersten Stunde sicherstellen musste. Dies führte zu beidseitigem Frust. Suermann wollte diese Situation aber nicht hinnehmen. Sie ging auf die Verantwortlichen zu, und es gelang ihr, gemeinsam mit dem lokalen Busunternehmen und dem Bürgermeister, einen regelmäßigen Schulbusverkehr zwischen Heddesbach und Waldmichelbach zu etablieren.

Die Reaktionen ihres Umfelds waren eindeutig: „Wir nehmen alles jahrelang hin, und du kommst und änderst das einfach.“ Suermann wurde von ihrem Umfeld und der Gruppe von Frauen, mit denen sie davor schon das Dorfleben durch Veranstaltungen und Feste aktiv geprägt hatte, ermutigt, doch für den Gemeinderat zu kandidieren. Der Gedanke ergab für sie Sinn: Wenn Frauen doch sowieso für einen Großteil des Dorflebens zuständig sind, warum sollen sie dann nicht auch an der politischen Gestaltung teilhaben?!

So kam es, dass Suermann und weitere Frauen aus diesem Umfeld 1994 auf einer reinen Frauenliste, der „Fraueninitiative Heddesbach“, kandidierten. Zwei von ihnen gelang der Sprung in den Gemeinderat. Zwei Frauen, das ergibt bei einem Gremium von 8 Gemeinderäten bereits eine Quote von 25%. Suermann wurde auch auf Anhieb 2. Stellvertretende Bürgermeisterin und leitete, weil Bürgermeister und Stellvertreter direkt nach der Einführungssitzung Urlaub hatten, ihre ersten Tätigkeiten im Bürgermeisteramt selbst.

Ihre Erfahrungen? Durchweg positiv: Die Mitglieder des Gemeinderates sind Menschen, die sich fürs Dorf engagieren, so Suermann. Gemeinsam, nicht gegeneinander. Das liegt auch daran, dass in Heddesbach keine Parteien, sondern freie Wählerlisten sich zur Wahl stellen. Innerhalb des kleinen Gremiums gibt es keine Fraktionen, keinen Fraktionszwang, keine Ausschüsse, sondern jeder kümmert sich um alle Themen, miteinander. Trotzdem ist es so, dass sich die beiden Frauen von der Fraueninitiative verstärkt den sozialen Themen widmen: Die Kinder, die Jugend, die Senioren. Und als es zwischenzeitlich sogar drei Frauen im Gemeinderat gibt, kommt die Frage der Männer: Fürs Soziale reichen doch zwei, warum strebt ihr denn immer mehr Plätze an? Dabei haben Suermann und ihre Kolleginnen ja schon längst bewiesen, dass sie sich auch mit Haushaltsfragen und Bauvorhaben auseinandersetzen können und wollen.

Woher kommt diese Verteilung? Wie kommt es, dass diese Themen erst angegangen werden, als Frauen im GR sitzen? Männer haben da nicht den Blick für, sagt Suermann. Ihre Kollegen fordert sie auf, doch mal mit den „Großvateraugen durchs Dorf zu gehen“ und zu sehen, wo es fehlt. Die Frauen haben eine andere Perspektive: beispielsweise gehört zu Suermanns erstem Vorhaben die Einrichtung eines Jugendraums in einem Haus der Gemeinde, auch unter Mithilfe ihres Mannes, ihrer Söhne, die im richtigen Alter sind, diesen Raum auch zu nutzen, aber auch der Eltern und entsprechenden Jugendlichen. Davor gab es, so Suermann, keinen Ort für die Jugendlichen. 

Einer ihrer selbstgewählten Schwerpunkte sind die Kinder: Suermann ist präsent bei Einschulungsfesten, Kindergartenfesten. Für solche Gelegenheiten hält sie sich fünf ihrer Urlaubstage frei. Sie organisiert die jährliche Instandsetzung des Spielplatzes, richtet einen Bücherschrank an der Bushaltestelle ein. Sie sorgt dafür, dass die Kinder aus Heddesbach und aus dem hessischen Hirschhorn auch am Leseförderprogramm Leseinsel im badischen Eberbach teilnehmen können – über Schulbezirks- und Ländergrenzen hinweg. An den von ihr initiierten Elternabenden nehmen die Rektorin,  Lehrer*innen, Erzieher*innen  und Eltern teil und bilden sich gemeinsam u. a. zu Themen wie Leserechtschreibschwäche, Gewalt an Schulen, Fernsehkonsum weiter. Suermann organisiert externe Referenten, so dass die Abende auch für die Lehrer*innen als Fortbildungen gelten.

Später kommt das monatliche Seniorencafé dazu, in dem Senioren, die nicht in der engen Vereinsstruktur des Dorflebens aufgefangen sind, eine Anlaufstelle bekommen. Außerdem das Frauenfrühstück, bei dem die Veranstalterinnen zunächst an die nicht berufstätigen Frauen gedacht haben, die mit meist kleineren Kindern zuhause sind. Der Gedanke ist, dass die Väter für einen Samstagmorgen die Verantwortung übernehmen und die Mütter eine Pause, Gemeinschaft und Input bekommen. 1999 findet es zum ersten Mal statt und, erzählt Suermann, es kommen aber nur die berufstätigen Frauen. Es musste sich erst rumsprechen, dass Suermann und die Fraueninitiative nicht vorhaben, die Frauen aufzuwiegeln. Die Themen, um die es beim Frauenfrühstück neben einem tollen Frühstücksbuffet geht, sind bunt gestreut:  Homöopathie, Feuerprävention, Reifenwechsel, Mental-Training, 100 Jahre Frauenwahlrecht, aber auch Tanz und Gymnastik sind dabei…

2014 möchte Suermann Platz für jüngere im Gemeinderat machen. Aber die Fraueninitiative findet keine Interessentinnen. Ihre Mit-Gemeinderätin der vergangenen Jahre kandidiert darauf hin auf der allgemeinen Liste und wird Stimmenkönigin. Die Projekte, die Suermann in ihrer Zeit im Gemeinderat initiiert hat, betreut sie auch ohne Mandat weiter, was ihr auch weiterhin Spaß macht.

Mit dieser Problematik ist die Fraueninitiative Heddesbach nicht alleine: Viele der Listen, die sich in Baden-Württemberg verstärkt zur Wahl 1994 gegründet hatten, treten zu den Wahlen 2014 oder 2019 nicht mehr an, trotz erfolgreicher Jahre im Gemeinderat. Suermann hat 2003 den Dachverband  Frauenlisten Baden-Württemberg e.V.  mitbegründet und weiß um die Problematik. Dieser Rückgang liegt zum Teil daran, weil sie wie Suermann keine Mitstreiterinnen finden oder weil potentielle Rätinnen lieber in gemischten Listen oder traditionellen Parteien antreten wollen. Zum Teil aber auch, weil die Zusammenarbeit der Frauenlisten mit den anderen Fraktionen in den Gemeinderäten nicht immer so harmonisch abläuft wie in Heddesbach. Und hier ist sie sehr dankbar, dass die beiden Bürgermeister während der Zeit ihrer eigenen Gemeinderatszugehörigkeit der Fraueninitiative für alle Projekte volle Unterstützung gewährten.

Auch 2019 ist die Fraueninitiative Heddesbach nicht mehr angetreten, dafür sind über die allgemeine Liste zwei Rätinnen, die nicht aus dem Umfeld der Fraueninitiative kommen, in den Gemeinderat eingezogen. Generationenwechsel? Vollzogen.

Fraueninitiative Heddesbach (Zusammenstellung von Ursula Suermann)

gegründet:         1994 zur Kommunalwahl durch Ursula Suermann
Wahl 1994:         von 8 Gemeinderäten: 2 aus der Fraueninitiative, M. Selzer, U. Suermann (2. stellv. BM)
Wahl 1999:         von 8 Gemeinderäten: 2 aus der Fraueninitiative, A. Backfisch, U. Suermann (2. stellv. BM)
Wahl 2004:         von 8 Gemeinderäten: 3 aus der Fraueninitiative, A. Backfisch, B. Reinhard, U. Suermann (2. stellv. BM und Verwaltungsratsmitglied im Verwaltungsverband Schönau, Heddesbach, Heiligkreuzsteinach, Wilhelmsfeld)
Wahl 2009:         von 8 Gemeinderäten: 2 aus der Fraueninitiative U. Suermann  (1. stellv. BM), A. Backfisch (2. stellv. BM) – U. Suermann erhält die meisten Stimmen!
Wahl 2014         Die Fraueninitiative ist nicht mehr angetreten, da die angesprochenen Frauen nicht kandidieren wollten, aber deren Männer! A. Backfisch in allgemeiner Liste erhielt die meisten Stimmen. Zwei der Männer, die über ihre Frauen angesprochen wurden, kamen in den Gemeinderat.
Seit 2004             Mitglied im Dachverband Frauenlisten Baden-Württemberg e.V., U. Suermann ist Gründungsmitglied. Seitdem 2 der jährlichen M Mitgliederversammlungen in Heddesbach – ausgerichtet von der Fraueninitiative. Außerdem Teilnahme mit Kollegin an Bundeskongressen        der Freien Frauenlisten

Aktivitäten:

1994           Bau eines Jugendraumes mit Jugendlichen und ihren Eltern. Betreuung der Jugend im Elfnerhaus
ab 1995:    jährliche Spielplatz-Instandsetzung mit Jungeltern, auch mit Konfirmand*innen und Firmlingen
neu 2008: Tisch und Pavillonbau mit Senior*innen und Eltern
neu 2011: neuer Zaun – mit Gemeinderatsmännern
neu 2013: neues Kletter- und Rutschengerüst, Schaukeln, Häuschen – Teile bestellt, 10.000,-- € in den Haushalt auf  Antrag der Fraueninitiative hin eingestellt. Aufbau mit Bürgermeister, Gemeinderat und Eltern.
ab 1999:
1 – 2 x  Jahr        Frauenfrühstück mit Themen (z. B. Frauen in der Gesellschaft, Euro-Einführung, Feuerprävention, Reifenwechsel, Tai-Chi, Meditative Tänze, Ta-Ke-Ti-Na - Beckenbodengymnastik, Hömeopathie, Fuß- u. Handpflege, Yoga,  Klangschalen-Massage, Mental-Training, 100 Jahre Wahlrecht)
1 – 2 x  Jahr        Elternabende mit externen Referenten über verschiedene Themen für Kindergarten- und Grundschuleltern (z. B. Fernsehen, Sucht, Gewalt, Lernen, LRS, Selbstbewusstsein und Selbständigkeit, Ernährung, Wahrnehmen, Denken, Handeln, Internetnutzung*, Lesen/Vorlesen)  1 x Monat           Seniorencafé mit Rahmenprogramm zum Jahreskreis und den Festen im Jahreskreis
1 x Jahr                Faschingssitzung
1 x Jahr                Adventsfeier mit Hilfe der Gemeinderäte u. Partner – Kosten hierfür trägt die Gemeinde!
1 x Jahr                Seniorenausflug – Bus bezahlt Gemeinde

20jähriges Jubiläum 2019 im Seniorencafé mit einem Märchen-Menu
Erste-Hilfe-Kurse (DRK)
Selbsthilfetraining (Polizei)
Patientenverfügung/Betreuungsverfügung und Erben/Vererben mit Referenten
Mehrmals Brett-Spiele-Ausstellungen mit Probespielen in den Ferien mit dem Jugendamt Rhein-Neckar-Kreis
Eintragung „Familienfreundliche Kommune“ Baden Württemberg
Ausstellungen beim Weihnachtsmarkt: Krippen, Teddybären, Bibeln, Engel
Verkehrshinweise: Schulanfang, 30er- und 50er-Straßenaufdrucke
Tombola für abgebrannten Kindergarten
Geldbeträge mehrmals im Jahr an die Jugendfeuerwehr
Bücherschrank für alle im Buswartehäuschen
Dankurkunde für Seniorenarbeit Land BWTG
Einrichtung und Pflege eines kleinen Heimatmuseums im Elfnerhaus über den Jugendräumen – Annemarie Backfisch
Legasthenie-Schulungen für Lehrer der Neckartalschule, Grundschule des Kreises Bergstraße, Hirschhorn, u. der Haupt- und Realschule Neckarsteinach
Aktion Hilfe-Insel mit Schulelternbeirat
Schulkinder: Schulamt RNK - Leseinsel Eberbach, Deutsch 3.u.4. Klasse/Eberbach – nicht nur für Heddesbach, sondern auch für hessisches Hirschhorn
Spracherziehung Kindergarten
Für den Kindergarten: Teilnahme an einem Gewinnspiel – 1.500,-- € gewonnen!

U. Suermann in BM-Vertretung:

Kindergarten- u. Grundschul-Betreuung – LRS
Kath. Kirchengemeinde Neckartal – Teilnahme an Erstkommunionfeiern in Hirschhorn sowie Firmungen - Nachtreffen der Erstkommunionkinder und Eltern auf dem Grillplatz Heddesbach ebenso  auch der Firmlinge – Teilnahme bei Verabschiedung Pfarrer und Einführung der neuen Pfarrer in Hirschhorn
Neujahrsempfänge Hirschhorn – Einführung der neuen Bürgermeister*innen Hirschhorn

Mit Bürgermeister und Gemeinderat:

Organisation und Mitbetreuung Jugendausflug
Organisation und Durchführung des Sport- und Spieltages sowie des Dorffestes (jährlich abwechselnd)
Bewerbungsmappe „Unser Dorf hat Zukunft“
Vorbereitung der neuen Buspaare – BM, A. Backfisch, U. Suermann
Aktion der Metropolregion „Wir schaffen was“: Anträge Jugendräume und Wasserspielplatz – kein Geld, nur Urkunde

Nachweise:

Fotos: privat