Klara Palm

Schorndorf
1922
Württembergische Bürgerpartei

Klara Palm hatte bereits im Januar 1919 für die verfassunggebende Landesversammlung kandidiert, allerdings auf einem aussichtslosen 57. Platz. Im Mai 1919 verpasste sie knapp den Einzug in den Gemeinderat, rückte dann drei Jahre später ins Kollegium nach. Dort betätigte sie sich vorwiegend in Sachen Wohltätigkeit: Sie gehörte dem Komitee für die Quäkerspeisung und dem Aufsichtsgremium für die Frauenarbeitsschule an. Diese wurde während ihrer Amtszeit an die elektrische Stromversorgung angeschlossen.

Klara Palm, geborene Reuß, engagierte sich im Ersten Weltkrieg beim Roten Kreuz, weshalb sie Anfang 1916 zusammen mit sieben weiteren Frauen aus Schorndorf von König Wilhelm das Charlottenkreuz erhielt. Als ihr Mann zum Kriegseinsatz musste, führte sie die Apotheke weiter, wobei ihr zugutekam, dass sie selbst als Tochter eines Apothekers aufgewachsen war. Ihr Mann starb 1917. Im Januar 1919 übergab sie daher die Geschäftsführung an ihren inzwischen „aus dem Felde zurückgekehrten“ Sohn Dr. Philipp Palm.

Zur Kommunalwahl am 20. Mai 1919 war Klara Palm auf der Liste der Württembergischen Bürgerpartei auf Platz 3 angetreten, auf Platz 9 stand Anna Eberhard, die Leiterin des Landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins. Die Deutsche Demokratische Partei hatte gar drei Frauen aufgestellt: die „Dentisten Gattin“ Amalie von Haußen, die „Malermeisters Gattin“ Luise Wolfmaier, und die „Prokuristen Gattin“ Julie Nestle. Unter den Kandidaten der Sozialdemokraten fand sich keine einzige Frau, sie hatten überhaupt nur zehn Kandidaten für die zwanzig Sitze im Gemeinderat aufbringen können.

Frauen tun alles, „…damit Männer aus der Wahl hervorgingen…

Klara Palm war zu jenem Zeitpunkt Vorsitzende der Frauengruppe der Württembergischen Bürgerpartei. In dieser Funktion hatte sie noch am Sonntag vor der Wahl eine Rednerin in Schorndorf begrüßt, die über „Die Aufgaben der Frauengruppen der Bürgerpartei“ sprach. Ob und wie diese Rednerin Michel-Lörcher aus Esslingen um Stimmen für Klara Palm warb, ist nicht überliefert. Im Zeitungsbericht wird sie lediglich so zitiert, dass es die Sorge um die Kriegsgefangenen und die inneren Unruhen sei, die den Frauen „das Herz schwer machten“, und dass der „sittliche Niedergang unseres Volkes“ auf sie besonders drücke, weshalb sie „in Bezug auf die Wahlen tun wollten, was sie könnten, damit Männer aus der Wahl hervorgingen, denen das Volkswohl am Herzen liege.“

Aus der Wahl ging die Bürgerpartei mit acht Sitzen als stärkste Fraktion hervor. Für Klara Palm reichte es trotzdem nicht zum Einzug in das Gremium. Auch bei den anderen Parteien hatte es keine Frau geschafft. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 50 Prozent – nur etwa der Hälfte gegenüber der Wahl zur verfassunggebenden Landesversammlung vier Monate zuvor, wo sie bei 91 Prozent gelegen hatte.

Amtsantritt aus Pflichtgefühl

Nachdem drei Jahre später Stadtrat Johannes Abele am 4. Mai 1922 verstorben war, übernahm Klara Palm als Nachrückerin seinen Platz im Schorndorfer Gemeinderat. Er hatte schon ein halbes Jahr nicht mehr an den Sitzungen teilgenommen. Da aber eine schwere Erkrankung damals noch nicht als Grund galt, das Amt abzugeben, konnte Klara Palm erst nach seinem Tod nachrücken.

Fast auf den Tag genau drei Jahre nach ihrer Wahl, trat Klara Palm am 18. Mai 1922 – mit Sitzungsbeginn um 7 Uhr – ihr Amt als Gemeinderätin an. Laut Zeitungsbericht wurde sie von Stadtschultheiß Jakob Raible „freundlich begrüßt und in  Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen vereidigt“. Die Frauengruppe der Bürgerpartei hatte ihren Sitzplatz „mit einem Blumenstrauß geschmückt und war durch eine Abordnung bei der Amtseinsetzung vertreten.“

An die Vereidigung schloss der Stadtvorstand laut „Schorndorfer Anzeiger“ vom 20. Mai 1922 eine „das Ereignis würdigende Ansprache“ an:

Daß nun eine Frau einen Gemeinderatssitz einnimmt, ist ein in der Geschichte des Schorndorfer Rathauses und der Stadt neues und so bedeutungsvolles Ereignis, daß ich heute an demselben nicht stillschweigend vorübergehen zu dürfen glaube. Das Leben der Gemeindeverwaltung ist ein so vielgestaltiges und das Arbeitsfeld des Gemeinderats ein so weites, daß auf demselben wohl genug Raum ist, um das auf dem Gebiete der Fraueninteressen verständige Urteil einer Hausfrau mitraten und in sozialen und Erziehungs- und Bildungsfragen das Herz einer Mutter mitreden lassen zu dürfen.

Wir können es Frau Palm nachfühlen, daß ihr zumal in der gegenwärtig furchtbar ernsten Zeit der Gang auf das Rathaus nicht leicht geworden ist und daß sie es als ungewohnt und zunächst vielleicht als unbehaglich empfinden dürfte, als einzige Vertreterin des weiblichen Geschlechts einem Kollegium anzugehören, das aus lauter Männern besteht. Die Tradition des Hauses Palm aber, das der Stadt schon vor einem halben Jahrhundert einen Bürgermeister und in den letzten 30 Jahren einen 14 Jahre lang wirkenden Bürgerausschußobmann und Gemeinderat gegeben hat, bürgt dafür, daß unsere neue Kollegin dem alten durch die Bürgermeister[in] Künkelin begründeten Rufe von der Tapferkeit der Schorndorfer Frauen alle Ehre gemacht wird.

Wir Männer unsererseits werden durch gewohnte gute parlamentarische Sitten der Frau Palm ihr Amt zu erleichtern und ihre Freude am öffentlichen Dienst zu erhöhen bemüht sein.

So wünsche ich, auch im Namen des Gemeinderats, daß das amtliche Wirken der neuen Frau Gemeinderat den politisch gleichberechtigten Frauen zum Stolz und zur Ehre, der Frau Gemeinderat zur Befriedigung und der Stadt zum Segen gereichen möge.“

Klara Palm dankte „in kurzen Worten für den freundlichen Empfang bei Antritt ihres Amtes, das sie nach schwerem Entschlusse aus Pflichtgefühl gegen die den Frauen durch das Wahlrecht auferlegten Pflichten übernommen habe“. Und sie „bat um Nachsicht und Unterstützung seitens der Kollegialmitglieder“.

Ein Amt in schweren Zeiten

Im Jahr 1922 machte die Inflation den Menschen sehr zu schaffen. So stieg beispielsweise der Preis für elektrisches Licht von sieben Mark pro Kilowattstunde im Mai auf 88 Mark im Dezember. Durch den Krieg bedingt gab es hungernde Kinder, denen mit einer „Quäkerspeisung“ (aus Spenden dieser Religionsgemeinschaft in Amerika) geholfen wurde.

In Schorndorf hatte der Oberamtsarzt Anfang Mai 162 Kinder „als einer Zusatzspeisung bedürftig“ diagnostiziert, doch war die amerikanische Spende nur für 125 Kinder ausgelegt. Daher beschloss der Gemeinderat, diesen „täglich ein Milchfrühstück, bestehend aus ¼ Ltr. Milch und 1 Brot auf Kosten der Stadt ausgeben zu lassen.“ Für die Organisation wurde ein Ausschuss gebildet, dem neben dem Schultes auch der Vorsitzende des Wohltätigkeitsvereins, Schulvorstände, Pfarrer, ein Arzt und drei Frauen angehören sollten. Der Gemeinderat wählte laut Protokoll vom 4. Mai 1922 durch Zuruf einstimmig „Frau GR. Gunsser, Frau GR. Bachmann u. Frau Apotheker Palm We.“

Kurios ist, dass die beiden ersten als „Frau Gemeinderat“ bezeichnet wurden, weil ihre Männer dieses Amt innehatten, nicht aber Klara Palm, die zwar selbst gewählt, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht vereidigt war. Da seinerzeit Ehefrauen von Gemeinderäten bei sozialen Aufgaben immer wieder öffentlich in Erscheinung traten, liegt die Vermutung nahe, dass man von ihnen – ähnlich wie bei Pfarrfrauen – das Abdecken dieses Spektrums selbstverständlich erwartete.

Im Protokoll der Sitzung vom 21. September 1922 steht, dass die Quäkerspeisung ab November wieder aufgenommen werden sollte, dass die Stadt den sechsten Speisetag und die Milchfrühstücke übernehmen werde und dass der Tagesbeitrag von 50 Pfennig auf fünf Mark erhöht wurde „angesichts des großen Aufwands“. Allerdings mit dem Zusatz, dass „kein Kind zurückgewiesen werden soll, für das die Angehörigen die täglichen 5 Mark nicht bezahlen können.“

Erhöhung von Bezügen

Des Weiteren befasste sich der Gemeinderat in diesem Jahr mit der Genehmigung der Teuerungszulagen für städtische Arbeiter. Auch die Taggelder des Gemeinderats und die Bezüge der Gemeindebeamten wurden angepasst. Das Gesuch der Schuldienerinnen um außerordentliche Vergütung wurde „zwecks näherer Erhebungen“ zurückgestellt.

Für eine „bessere Ausstattung“ des Amtszimmers des Vorstands der Gewerbeschule genehmigte der Gemeinderat 3.500 Mark. Er übernahm auch die Hälfte des Defizits der vom Schwabenbund veranstalteten „Friedensverhandlungsausstellung“, die nur von 500 zahlenden Personen besucht worden war und einen Fehlbetrag von rund 2.000 Mark verursacht hatte. Hingegen wurde der Antrag der Handelsschule auf Anschaffung einer Schreibmaschine abgelehnt.

Außerdem ersetzte man auf Empfehlung des Ministeriums hin den seitherigen Beirat der Frauenarbeitsschule durch ein neues Gremium, den Ortsschulrat. Bis dahin hatten dem Beirat neben Schultes Raible die Frau des Stadtpflegers Wöhrle, die Frau des Fabrikanten Knödler senior und die Damenschneiderin Frl. Emilie Sigle angehört.

Nun wurden neben dem Schultes und der Leiterin der Frauenarbeitsschule zusätzlich noch der Stadtpfleger, der Gewerbeschulvorstand und Gemeinderat Veil in dieses Gremium gewählt, dazu die Schneiderin Sigle sowie „Frau G.R. Palm“ und „Frau G.R. Lautenschläger“ – letztere die Frau des Gemeinderats Lautenschläger von der DDP. Kurios ist, dass die Vorgabe aus dem Ministerium, „mindestens die Hälfte“ dieses Ortsschulrats mit Frauen zu besetzen, zwar exakt eingehalten wurde, der Frauenanteil damit aber von zuvor drei Viertel auf die Hälfte gesunken war.

Strom für die Frauenarbeitsschule

In der Gemeinderatssitzung vom 16. November wurde beschlossen, die Frauenarbeitsschule mit elektrischem Licht auszustatten. Der Antrag „Einrichtung des elektrischen Lichts (9 Lampen)“ wurde denkbar knapp bewilligt, nämlich mit „10 gegen 9 Stimmen“, liest man in der Zeitung vom 18. November und auch, dass die Kosten von 20.000 Mark von der Stadtkasse übernommen werden. Wie gut, denkt man spontan, dass Klara Palm als Gemeinderätin da den Ausschlag zugunsten der Frauen gab! Jedoch: Sie war bei dieser Sitzung gar nicht anwesend. Ob aus Zeitmangel oder aus taktischen Gründen, lässt sich nicht mehr ermitteln.

Fakt ist, dass der Antrag höchst umstritten war. Der Redakteur berichtet, es wurde im Gremium „der Verwunderung Ausdruck gegeben, warum das Bedürfnis nach Beleuchtung die vielen Jahre her nicht bestanden habe und jetzt in der teuersten Zeit die Einrichtung verlangt werde.“ Warum sollte man Geld für die Frauen ausgeben, wenn es bislang ja auch ohne Strom gegangen war?

Ganz erstaunlich ist freilich, dass der Antrag zwar von Gemeinderat Lautenschläger (Deutsche demokratische Partei) gestellt worden war (dessen Frau neben Klara Palm im Ortsschulrat für die Frauenschule saß), dass aber die Mehrheit der Nein-Stimmen aus seiner eigenen Fraktion kamen, während es nur eine solche aus der Bürgerpartei, der Klara Palm angehörte, gab. War er ihr womöglich mit der Antragstellung zuvorgekommen?

Am 14. Dezember 1922 wurde in der Sitzung der Dank der Lehrerinnen der Arbeitsschule für die Einrichtung des elektrischen Lichts übermittelt. Gleichzeitig beschloss der Rat, dass deren Schülerinnen eine Stromgebühr „für Benützung der Bügeleinrichtung“ zu zahlen haben, die sich bei einem monatlichen Aufwand von 20-25 Kilowattstunden auf 15.000 bis 20.000 Mark pro Halbjahr belief, die am Ende jedes Kurses „auf die Schülerinnen gleichmäßig umgelegt wird.“

Kurze Amtszeit

nullKlara Palm schied bereits am 28. Dezember wieder aus dem Schorndorfer Gemeinderat aus. Bei der Wahl 1919 waren nämlich nur die zehn Kandidaten mit den meisten Stimmen für die volle Amtszeit von sechs Jahren gewählt worden, die anderen zehn Kandidaten aber nur für drei Jahre, damit anschließend versetzt jeweils lediglich die Hälfte des Gremiums für sechs Jahre neu gewählt wurde. Zur Wahl 1922 trat Klara Palm allerdings nicht mehr an.

Ein möglicher Grund dafür ist, dass sie zeitlich zu sehr eingespannt war, um zweimal pro Monat an den Sitzungen teilzunehmen. Tatsächlich war sie in ihrer Amtszeit bei fast der Hälfte entschuldigt abwesend. Nicht ausgeschlossen ist freilich auch, dass ihr der Umgangston in den Sitzungen zu rustikal gewesen sein könnte. So berichtet etwas in ihren Lebenserinnerungen Lise Braun, deren Großvater Ziegler als Beigeordneter im Rathaus tätig war, dass Schultheiß Raible durchaus autoritär auftrat, wovor auch Gemeinderat Hermann Gunßer, der als Reichstagsabgeordneter in Berlin politische Erfahrung mitbrachte, nicht gefeit war. Wenn Raible seinen Kopf durchsetzen wollte, habe er kurzerhand erklärt: „Das verstehen Sie nicht, meine Herren, und Sie, Herr Gunßer, verstehen das auch nicht.“

„Außerdem schmückt den Zettel der Name einer Frau“

Klara Palm kandidierte 1931 dann doch noch einmal für den Gemeinderat. Sehr nett ist der Kommentar des Redakteurs, als er im Dezember 1931 die Liste abdruckte. Nachdem er darlegte, dass diese einen Querschnitt durch alle Berufsstände darstelle, schrieb er: „Außerdem schmückt den Zettel der Name einer Frau.“ Für einen Sitz im Gremium reichte ihre Stimmenzahl bei der Wahl allerdings nicht.

Es dauerte über ein Vierteljahrhundert, bis nach der ersten Gemeinderätin wieder eine Frau ins Schorndorfer Kommunalparlament einzog: Rosa Kamm im Jahr 1948.


Nachweise:

Dieser Text erschien am 5. September 2019 auf einer Sonderseite in den „Schorndorfer Nachrichten“

Fotonachweise:

Porträt Klara Palm: Familien- und Unternehmensarchiv Palm-Stiftung e.V.

Auszug aus Gemeinderatsprotokoll, Unterschrift Palm: Stadtarchiv Schorndorf

 

 


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