Helene Schoettle

Stuttgart
SPD
1951-1975

Helene Schoettle, geb. Osswald (1903-1994) – Hilfe und Sorge für andere

Die Kommunalpolitikerin und langjährige SPD-Stadträtin im Stuttgarter Gemeinderat (1951-1975) Helene Schoettle wurde am 19. April 1903 im heutigen Stuttgarter Vorort Münster, der damals zum Oberamt Cannstatt gehörte, als Älteste von drei Mädchen geboren. Sie stammt aus einer Familie, die um ihre wirtschaftliche Existenz zu kämpfen hatte. Der Vater Hans Osswald, der von Beruf Schlosser war, wurde nicht eingestellt, weil er wegen seiner Gewerkschaftszugehörigkeit auf einer der sogenannten schwarzen Listen stand, für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen demonstrierte und Streiks mitmachte. Die Mutter, Katharina Osswald, arbeitete als Austrägerin der „Schwäbischen Tagwacht“. Miternährt wurde die Familie, die sich die damals hohen Lebensmittelpreise nicht leisten konnte, von einer Schwester der Mutter, die ihren ganzen Zahltag in den Osswaldschen Haushalt miteinbrachte. Alle waren sich jedoch darin einig, dass das politische Engagement ihre Entbehrungen verdiente.

Helene muss früh mitarbeiten. Schon mit zehn Jahren trägt sie Zeitungen aus, wie die Mutter nur im wollenen Umschlagtuch. Für Mäntel reicht das Geld nicht. Sie geht sieben Jahre zur Schule, 1917 hat sie Jugendweihe. Die Familie war 1908 aus der Kirche ausgetreten, weil sie die als Herrschaftsinstrument des Staates ablehnt, und weil sie gegen die Arbeiterschaft agiere. An ihr blaues Kostüm und die rosarote Bluse auf Bezugschein erinnert sie sich ihr ganzes Leben. Noch im selben Jahr fängt sie als Fabrikarbeiterin ihr Berufsleben an. Trotz des Neun-Stunden-Tags belegt sie bald Früh- und Spätkurse zur kaufmännischen Weiterbildung an der städtischen Handelsschule Stuttgart. Das Geld dafür verdient sie selbst: 18 Mark pro Woche. Fehlzeiten zieht ihr Arbeitgeber, die Firma MEA in Feuerbach vom Lohn ab.

Weil die Mutter 1915 an Magenkrebs erkrankt und operiert wird, kann der Vater vom Landwehrregiment von der Front nach Hause zurückkehren, um für die Familie zu sorgen. Die Kriegs- und Nachkriegszeit sind auch für sie ein steter Feldzug gegen den Hunger.

Gesellschaftliche Umwälzungen, die Hoffnung auf Besserung in sich tragen, begeistern das junge Mädchen. Am 9. November 1918 steht sie mit den Demonstranten für eine Republik im Hof des Neuen Schlosses. Der Marsch setzt sich weiter bis zur Rotebühlkaserne fort und dort sieht sie fröhlich zu, wie nach der Hauptkundgebung die königlichen Bilder aus den Fenstern fliegen.

1919 gründet sie mit Freunden die Gruppe der sozialistischen Arbeiterjugend in Münster. Hier wird nicht nur ihr politisches Bewusstsein gestützt, hier erhält Helene auch in Wochenendseminaren und Vortragsabenden den Grundstock ihrer Allgemeinbildung und Geschichtskenntnisse – die „höhere“ Mädchenbildung war in diesen Zeiten allenfalls in den Familien der gehobenen Bürgerschicht möglich.

Um 1925 beginnt sie mit ihrer Arbeit in der Frauengruppe der SPD in Stuttgart-Münster. Dieser frauenpolitischen Arbeit ist sie ihr Leben lang in den verschiedensten Gremien treu geblieben.

Schon seit 1919 arbeitete sie in der Ortsverwaltung des Deutschen Metallarbeiterverbands Stuttgart und blieb dort bis zur Heirat mit ihrem Gesinnungsgenossen Erwin Schoettle (1899-1976) im Jahr 1925. Bis 1933 engagiert sie sich nun ehrenamtlich bei der SAJ, der SPD und der Arbeiterwohlfahrt AWO. Als 1928 die Tochter Doris geboren wird, ist die Familie komplett.

Die Lebensbedingungen sind für sie nun – wenn auch nur bis zur Inflation – besser geworden. Erwin Schoettle ist zur Zeit der Heirat Verlagssekretär bei der Schwäbischen Tagwacht. Auch er ist seit seiner Jugend bei der SPD. Von 1931-33 ist er Parteisekretär des Kreisverbandes Stuttgart. Bereits seit dem 5. März 1933 wird er steckbrieflich gesucht, am 17. Mai flieht er vor den Nazis; bis dahin lebt er in Stuttgart im Untergrund. Seine erste Fluchtstation ist die Schweiz. In Kreuzlingen wird er im November ausgewiesen. In St. Gallen gelingt es ihm, sich politisch zu betätigen, obwohl das Emigranten streng verboten ist. Sein eigener Auftrag und Wille ist es, gegen die Nazis von außen her zu arbeiten. Er gründet die Zeitung „Roter Kurier“, das Organ der revolutionären Sozialisten Württembergs, die Verbindungs- und Informationszeitung für die Widerstandsgruppen im Lande sein sollte. Er versucht, eine sozialistische Exilorganisation mit aufzubauen. Dauernde Schikanen der Gestapo zwingen bald auch Helene mit der kleinen Tochter am 8. Mai 1934 in die Schweizer Emigration. Sie hatte geholfen, den Roten Kurier nach Stuttgart zu schmuggeln. Die Familie lebt jetzt von einer kleinen Unterstützung und Helene trägt zur Ernährung mit „illegaler“ Arbeit wie Stricken, Putzen, Waschen und Kinderhüten bei. Doch bald bietet auch die Schweiz keine Garantie mehr, nicht verfolgt zu werden. Vier Tage vor Kriegsbeginn gelingt es der jungen Familie mit dem Schiff von Calais nach Dover auszureisen, um dann ab 1939 in London zu leben. Erwin Schoettle arbeitet in der sozialistischen Exilgruppe „Neu beginnen“. Doch im Mai 1940 werden alle drei Schoettles monatelang auf der Insel Man interniert. Zurückgekehrt kann Erwin Radiosendungen der BBC für deutsche Arbeiter und Kriegsgefangene betreuen und Helene arbeitet in einer Taschenlampenfabrik für drei Pfund die Woche. Doris wird nach Cambridge evakuiert, weil in London keine Schule mehr geöffnet ist. Ihre Abschlussprüfung hat sie dann nach der Rückkehr in einem Londoner Gymnasium im Luftschutzkeller machen können.

Bevor das Naziregime endlich besiegt ist, werden die Schoettles ausgebombt und danach sollte es noch bis 1946 dauern, ehe die Familie nach Kriegsende nach Stuttgart zurückkehren kann, um dort sofort wieder politisch aktiv zu werden.

Erwin Schoettle wird von seiner reorganisierten SPD zum Kreisvorsitzenden gewählt. Das ist der Beginn seiner nunmehr legalen politischen Laufbahn, in der er ab 1947als Stuttgarter Landtagsabgeordneter und ab 1953 bis 1972 als Stuttgarter Bundestagsabgeordneter arbeitet.

Helene Schoettle kandidiert 1950 zum ersten Mal für den Stuttgarter Gemeinderat und wird gewählt. Fast 25 Jahre lang hat sie diese kommunalpolitische Arbeit betreut. In drei Wahlen erringt sie die höchste Stimmenzahl. Sie sieht darin den Dank für ihre Arbeit. Der Sozialausschuss ist für sie das Gremium, um Not zu lindern und soziale Missstände zu beseitigen. Aktiv ist sie auch innerhalb der SPD, vor allem in der Frauenarbeit. Die meisten Frauenvereine der Ortsvereine haben Hochkonjunktur. Es gibt viel Nachholbedarf im offenen Miteinanderarbeiten, Lernen und Wiederaufbauen.

Bei der Arbeiterwohlfahrt Stuttgart arbeitet sie ebenfalls mit und wird 1947 in den Vorstand gewählt, dem sie bis 1973 treu bleibt. Sie baut mit einigen Freunden ein Netz von Nähstuben auf. Sie zeigen in einer großen Ausstellung was alles „Neu“ aus „Alt“ gemacht werden kann.

1960 wird die unprätentiös Engagierte Mitbegründerin des Vereins „Lebenshilfe für geistig Behinderte“, dessen Vorstand sie 15 Jahre lang aktiv angehört. Dass die Schule für Geistig Behinderte in der Kolpingstraße 88 in Stuttgart-Bad Cannstatt seit 2007 Helene - Schoettle-Schule heißt, ist stimmig und ist in Helenes Sinne sicher ihre schönste Anerkennung.

Dass sie zu Lebzeiten 1983 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, 1993 die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg erhielt, hat sie gefreut. Dass sie Patin des Heslacher Tunnels ist, hat sie als langjährige Vorsitzende des Heslacher Blaustrümpfler Altenklubs bestätigt. Dass es eine Helene-Schoettle-Staffel in Stuttgart-Heslach gleich oberhalb vom Erwin-Schoettle Platz gibt, hätte sie milde verschmitzt, bescheiden lächelnd zur Kenntnis genommen.

Am 24. August 1994 ist Helene Schoettle in Stuttgart gestorben. Im Bewusstsein ihrer schwierigen Anfänge und herber persönlicher Schicksalsschläge ist sie offen für eine tätige Demut geblieben. Die war ihr ein gesunder Maßstab dafür, was gerecht und verdient ist.


Literaturangabe:

Überarbeitete Fassung: Maja (d.i. Mascha) Riepl-Schmidt: Helene Schoettle, geborene Osswald, Hilfe und Sorge für andere, in: Maja (d.i. Mascha) Riepl-Schmidt, Wider das verkochte und verbügelte Leben, Frauenemanzipation in Stuttgart seit 1800, Stuttgart/Tübingen 1998 2, S. 285-290.

Bildnachweis: Mascha Riepl-Schmidt


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