Hedwig Rieth

Tübingen
1956 Parteilos
1957-1980 SPD

Hedwig Rieth wurde 1910 in Reutlingen geboren. Durch ihre Mutter Laura Schradin wurde sie früh politisch sozialisiert. Die „rote Laura“ war eine sozialdemokratische Frauenrechtlerin und Gemeinderätin in Reutlingen. Als einer der ersten vier weiblichen Landtagsabgeordneten zog sie 1919 in den Württembergischen Landtag ein. Hedwig Rieth absolvierte eine Ausbildung an einer landwirtschaftlichen Schule.

1932 heiratete sie den Paläontologen, Prähistoriker und Kunstwissenschaftler Dr. Gustav Adolf Rieth. Während der NS-Zeit gründete sie mit ihm zusammen einen Filmverein, in welchem sie verbotene Filme der russischen Avantgarde vorführte, und unterstützte verfolgte Freunde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zog sie mit ihrem Mann nach Tübingen, da er dort als Landeskonservator für Südwürttemberg das Denkmalwesen aufbauen sollte. Die Tübinger Nachkriegsgesellschaft sehnte sich nach Kunst und Kultur. Die Rieths, welche so unterschiedliche Künstler wie Otto Dix und Ernst Jünger zu ihren Freunden zählten, organisierten mehrere Kunstausstellungen und Theateraufführungen, wie zum Beispiel bereits 1946 die „Kunstwochen Tübingen-Reutlingen“, welche moderne, teilweise in der NS-Zeit verbotene, Kunst zeigten. Die Rieths organisierten nicht nur Kunstausstellungen, sondern betätigten sich auch als Sammler. Die beträchtliche Sammlung überließ Hedwig Rieth 1990 dem Kunsthistorischen Institut Tübingen, wofür sie zur Ehrensenatorin ernannt wurde.

 

In den 1950er Jahren trat Hedwig Rieth den „Staatsbürgerinnen“ bei, welche sie bei ihrer Wahl in den Tübinger Gemeinderat 1956 erfolgreich unterstützten. Zu diesem Zeitpunkt war Hedwig Rieth noch parteilos. Erst ein Jahr später trat sie der SPD bei, in der sie auch die Frauengruppe mitaufbaute und einige Jahre leitete. In ihren über 24 Jahren als Gemeinderätin waren ihr die schulische und kulturelle Bildung der Jugend und die Verkehrsplanung bei Erhalt des historischen Stadtkerns von Tübingen besondere Anliegen. Ihr engagiertes Auftreten stieß bei dem männerdominierten Gemeinderat nicht immer auf Wohlwollen. So erinnert sie sich an die Reaktion eines Kollegen: „Die Frauen sollen sich nicht auch noch um den Straßenverkehr kümmern!“ 2006 starb sie im Alter von 96 Jahren in Tübingen.

 

Die Tübinger Staatsbürgerinnen

„Die Tübinger Staatsbürgerinnen“ waren eine überparteiliche und überkonfessionelle Arbeitsgemeinschaft, die sich 1952 in der neuen Volkshochschule gründete. Else Berkmann, die Leiterin des Kurses, organisierte auch die Finanzierung durch die Wiederaufbaupolitik der amerikanischen Besatzungsmacht.

Ziel der Kurse war die politische Bildung von Frauen: Durch Vorträge zu aktuellen Themen, Exkursionsfahrten zu politischen und sozialen Einrichtungen, Rhetorikkurse sowie eigene praktische Arbeit sollten ihnen die „demokratischen Spielregeln“ beigebracht werden. Dabei verfolgten die Staatsbürgerinnen vor allem pragmatische Ziele und spezialisierten sich auf den als „weiblich“ definierten sozialen Bereich. Sie gründeten u.a. eine Kinderlesestube und kümmerten sich um Fragen der Gesundheit und Ernährung. So wurden die Tübingern Staatsbürgerinnen mit ihrem Engagement gegen die Fäkaliendüngung von Salaten bekannt und erwirkten 1953 sogar ein bundesweites Verbot.

Zu den Kursen kamen überwiegend berufstätige Frauen aus medizinischen und sozialen Berufen sowie Hausfrauen aus dem bildungsbürgerlichen Umfeld.

Ende der 1960er Jahre zerfiel die Arbeitsgemeinschaft, da sich die Frauengruppen der Parteien gründeten. Auch das staatstragende Grundverständnis war in der aufkommenden antiautoritären Studentenbewegung nicht mehr zeitgemäß.


Nachweise

Dieser Text stammt aus der Ausstellung „FrauenStimmen in Tübingen. In 100 Jahren vom Wahlrecht bis zur Frauenquote“ im Stadtmuseum Tübingen.

Fotos: Alfred Göhner/Stadtarchiv Tübingen


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