Hannelis Schulte
Heidelberg
1999-2004
Linke Liste/PDS
Autor/in: Niklas Kühnberger
Dr. Hannelis Schulte – Theologin, Aktivistin für Frieden und soziale Gerechtigkeit und Kommunalpolitikerin
Stadträtin in Heidelberg 1999 - 2004 (Linke Liste/PDS)
Hannelis (Johanna Elisabeth) Schulte wurde am 20.12.1920 in Heidelberg geboren. Ihr Vater Nikos Alexander Schulte war Jurist und ihre Mutter Hildegard Schulte hatte ihr Studium zunächst nach der Heirat abgebrochen. Sie unterrichtete jedoch nach dem Tod ihres Ehemannes in den 1920er Jahren Mathematik und Biologie am Heidelberger Hölderlin-Gymnasium. An Ostern 1939 absolvierte Hannelis Schulte ihr Abitur an eben jenem ehrwürdigen Gymnasium. Nachdem sie den – in dieser Zeit von den Nationalsozialisten im Vorfeld eines Studiums vorgeschriebenen – sechsmonatigen Arbeitsdienst in Norddeutschland geleistet hatte, begann sie 1940 in ihrer Geburtsstadt das Studium in Geschichte, Latein und Griechisch, besuchte aber auch heimlich Vorlesungen in evangelischer Theologie. Das Theologie-Studium war ein lang gehegter Wunsch der jungen Frau. Er lässt sich auf eine frühe, quasi prophetische Erfahrung zurückführen. Hannelis Schulte muss eines Tages in Heidelberg zwischen der Heiliggeistkirche und dem Hotel Ritter durch eine Gasse hindurch ein Haus mit einer Hakenkreuz-Fahne gesehen haben. Dabei hörte sie eine Stimme sagen, „Diese Fahne ist Deutschlands Unglück“, obwohl niemand hinter ihr stand oder auf dem Platz zu sehen war. Sie verstand dies als eine innere Stimme, die sie leiten sollte. So äußerte sie bereits vor dem Abitur den Wunsch, Theologie zu studieren. Ihre Mutter war daraufhin jedoch durch den nationalsozialistischen Direktor des Hölderlin-Gymnasiums unter Druck gesetzt worden, der drohte, sie aus dem Staatsdienst entfernen zu lassen, wenn ihre Tochter ein Theologiestudium aufnehmen würde.
Hannelis Schultes Wechsel an die Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg im Jahr 1941 ermöglichte ihr dann, offiziell Theologie zu studieren. Den neuen Studienort hatten ihr Professor Martin Dibelius und Pfarrer Hermann Maas empfohlen. Beide waren Gegner des NS-Regimes und gehörten zur „Bekennenden Kirche“, jenem kleinen Teil der evangelischen Kirche, der sich gegen die Vereinnahmung des Christentums durch die Nationalsozialisten wehrte. In Halle stand Hannelis Schulte in Kontakt mit Julius Schniewind und Ernst Wolf, die ebenfalls Teil der Bekennenden Kirche waren und privat zu „offenen politischen Abenden“ einluden. Im Februar 1945 bestand sie bei Schniewind ihr erstes theologisches Fakultätsexamen. Nach fast sechs Jahren Krieg lag damals der Lärm der nahen Artillerie in der Luft und die Studierenden sangen heimlich in den Pausen; „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. Im April geht der Hitler, im Mai die Partei.“
Hannelis Schulte kehrte noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Heidelberg zurück und setzte sich mit Martin Dibelius und weiteren Professoren und Kommilitonen dafür ein, dass der Vorlesungsbetrieb des Theologischen Seminars bereits am Tag der Kapitulation, dem 8. Mai 1945, wieder aufgenommen werden konnte. An Pfingsten 1947 konnte sie schließlich ihr Studium mit der Promotion bei Martin Dibelius abschließen. Sie arbeitete zu diesem Zeitpunkt als eine der ersten Assistentinnen am Theologischen Seminar. 1949 folgte das zweite kirchliche Examen.
Drei Jahre später wurde Hannelis Schulte schließlich Vikarin. Dennoch blieb es ihr – wie damals allen Theologinnen in den evangelischen Landeskirchen der Bundesrepublik – verwehrt, anschließend in den Pfarrdienst zu gehen. Sie arbeitete dafür als Religionslehrerin an verschiedenen Schulen im Land. Neben dem Schuldienst blieb Hannelis Schulte wissenschaftlich aktiv und veröffentlichte zahlreiche Fachartikel. Bis zu ihrer Pensionierung 1981 prägte sie als Lehrerin eine Vielzahl von Schüler*innen und Kolleg*innen. Aus politischen Gründen und aufgrund ihres kritischen Engagements wurde Hannelis Schulte mehrmals versetzt. Erst im Jahr 1962 erhielt sie im Alter von 40 Jahren den Titel „Pfarrerin“. Die badische Landeskirche gehörte damals zu den ersten Kirchen in Deutschland, die Theologinnen zum Pfarramt zuließen.
1982 habilitierte Schulte sich im Alter von 61 Jahren an der Universität Heidelberg und unterrichtete als Privatdozentin im Fach Altes Testament. Anders als bei Privatdozent*innen üblich und vom damals geltenden Universitätsgesetz vorgesehen, wurde sie jedoch nicht nach sieben Jahren Lehrtätigkeit zur außerplanmäßigen Professorin ernannt. Entsprechende Vorstöße der theologischen Fakultät wurden mit dem Hinweis auf ihr Alter abgewehrt, laut Beobachtern stand dem jedoch eher das politische Engagement der Theologin entgegen.
Am 12. April 2016 verstarb Hannelis Schulte in ihrer Geburtsstadt und wurde auf dem Heidelberger Bergfriedhof beigesetzt. Der emeritierte Theologieprofessor Gerd Theißen und Wegbegleiter Schultes schrieb über sie:
„Der Weg von Hannelis Schulte von der Bekennenden Kirche im Dritten Reich durch viele Jahre der Bundesrepublik ist bewundernswert. Es war der geradlinige Weg einer Linksprotestantin, die sich gegen Widerstände in ihrem Umfeld für die Theologie entschieden hat und die auch von ihren politischen Gegnern wegen ihrer Integrität und Aufrichtigkeit respektiert und geschätzt wurde. In der Friedensbewegung wie im Stadtrat von Heidelberg hat sie mitgewirkt. Man möchte wünschen, dass sich viele ihr Leben zum Vorbild nehmen.“
(Theißen, Gerd: Polyphones Verstehen. Entwürfe zur Bibelhermeneutik, 2. Aufl. Beiträge zum Verstehen der Bibel, Band 23. Berlin, Münster 2015)
Aufgrund ihrer Erfahrungen in NS-Regime und Krieg war der Einsatz für Frieden und soziale Gerechtigkeit zentral für Hannelis Schultes politisches Handeln, das auch auf ihrem pazifistisch-sozialistischen Glauben basierte. So hatte sie im Zweiten Weltkrieg ihren Bruder verloren und am eigenen Leib die Repressionen des NS-Staates gegen die Kirche erlebt. Die „Initialzündung“ für ihr politisches Engagements war im August 1950 der Rücktritt des damaligen Bundesinnenministers (und späteren Bundespräsidenten) Gustav Heinemann, der die Wiederbewaffnungspolitik von Bundeskanzler Konrad Adenauer ablehnte. Hannelis Schulte trat 1952 in Heinemanns „Gesamtdeutsche Volkspartei“ ein und war dort bis zu deren Auflösung im Jahr 1957 tätig. Sie engagierte sich als Aktivistin für Frieden und Frauenrechte etwa beim ersten Ostermarsch der Atomwaffengegner nach Bergen-Hohne im Jahr 1960. Ein Jahr später zeichnete sie für die Organisation des Sternmarsches der bundesdeutschen Friedensbewegung von Miltenberg nach Frankfurt, Stuttgart und Mannheim verantwortlich. Bis 1968 blieb Hannelis Schulte vor Ort, in der Region und bundesweit in die Organisation der Ostermärsche involviert.
1961 war Hannelis Schulte in die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) und Deutsche Friedensunion (DFU) eingetreten und von 1966 bis 1974 Bundesvorsitzende sowie baden-württembergische Landesvorsitzende der DFG. Von Anfang an gehörte sie zudem zur Christlichen Friedenskonferenz (CFK) und engagierte sich von 1985 bis 1989 in deren internationalem Sekretariat. Ab 1969 war sie Mitglied des Weltfriedensrates und nahm an drei seiner Kongresse teil. Nicht zuletzt war Hannelis Schulte in der internationalen Solidaritätsarbeit mit Vietnam, Chile und Südafrika aktiv.
Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten fand Hannelis Schulte in der „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) und ab 2007 in deren Nachfolgepartei „Die Linke“ ihre politische Heimat. In den frühen 1990er-Jahren war sie maßgeblich an der Gründung der Heidelberger PDS beteiligt und Teil der Bundesarbeitsgemeinschaft „Linke Christinnen und Christen“ in der PDS. 1999 kandidierte sie bei den Wahlen zum europäischen Parlament für die bundesweite Liste der PDS auf Platz 13. Als Linksprotestantin stand Hannelis Schulte für einen Austausch zwischen Marxismus und Christentum, vertrat die Einheit von christlich und sozialistischen Werten und gehörte zur ökumenisch-befreiungstheologischen Bewegung „Christen für Sozialismus“.
1999 wurde die inzwischen 78jährige Hannelis Schulte über die „Linke Liste/PDS“ erstmals in den Heidelberger Stadtrat gewählt. Sie setzte sich dort als einzige „linke Alternative“ und „Einzelkämpferin“ für die Belange derer ein, die gesellschaftlich wenig Gehör fanden, und blieb bis ins hohe Alter politisch aktiv. Als sie im Jahr 2004 aus dem Heidelberger Stadtrat ausschied, war sie 83 Jahre alt.
Hannelis Schultes politisches Engagement, ihre Haltung und theologische Gewandtheit schlugen sich auch in ihren pointierten und politischen Predigten nieder, die sie regelmäßig im Rahmen des Universitätsgottesdienstes in der Heidelberger Peterskirche hielt:
„Ich kann verstehen, dass nicht jeder in der Lage ist, zu demonstrieren und auf die Straße zu gehen. Aber jeder kann bei sich anfangen und bei dem, was er tut, einmal überlegen, wie es mit seinen Entscheidungen dem Mitmenschen geht. Das wäre schon ein ganz wichtiger Schritt; ein Schritt in die richtige Richtung; Ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit und Recht. Das beginnt damit, dass wir uns von der falschen Vorstellung lösen, die heute viele lähmt: Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung sei alternativlos. Wir seien hier unabänderlichen Gesetzen unterworfen. […] Nein, wir haben Gestaltungsspielräume. Verschiedene Staaten und verschiedene politische Ansätze bringen verschiedene Ergebnisse.“
(Predigt über Amos 5,21-24 am Sonntag Estomihi, 26.02.2006 gehalten von PD Dr. Hannelis Schulte/Dr. Dr. Dagmar Börsig im Universitätsgottesdienst in der Peterskirche Heidelberg)
Niklas Kühnberger
Bildnachweis: Ortsverband Die Linke Heidelberg.
Literatur:
Brose, Jürgen: „Die Neuen im Gemeinderat“, Heidelberger Stadtblatt Nr.44, 03.11.1999
Erhart, Hannelore (Hrsg.). Lexikon früher evangelischer Theologinnen. Biographische Skizzen. Neukirchen-Vluyn 2005
Hund, Franky: „Die Linke Heidelberg trauert um Dr. Hannelis Schulte“, Die Linke Kreisverband Heidelberg / Bad. Bergstraße, 14.04.2016, Online verfügbar unter: https://dielinke-hd.de/die-linke-heidelberg-trauert-um-dr-hannelis-schulte/ (zuletzt geprüft: 04.12.2023)
Hund, Franky: „Pressemitteilung In Gedenken an Hannelis Schulte“, Die Linke Kreisverband Heidelberg / Bad. Bergstraße, 21.12.2020, Online verfügbar unter: https://dielinke-hd.de/pm-in-gedenken-an-hannelis-schulte/ (zuletzt geprüft: 04.12.2023)
Loos, Eva: „Hannelis Schulte, eine persönliche Erinnerung von Eva Loos“ (2016) Online verfügbar unter: https://www.ekiba.de/media/download/variant/71818 (zuletzt geprüft: 04.12.2023)
Schoberth, Ingrid & Theißen, Gerd: Nachruf „Die Theologische Fakultät Heidelberg trauert um Frau PD Dr. Hannelis Schulte aus Heidelberg (20. 12. 1920 - 12.4.2016)“, 15.04.2016
Schulte, Hannelis: „Theologie studieren in der Nazizeit – wie war das?“, In: „Theologinnen. Berichte aus der Arbeit des Konventes Evangelischer Theologinnen in der Bundesrepublik Deutschland“ Nr. 26 (2013), S. 119–124
Segall, Peter Christian & Schorpp-Grabiak, Rita: Aktuelle Analysen 13, Die PDS vor den Europawahlen, 1999 Hanns-Seidel-Stiftung e.V.
Theißen, Gerd: „Hannelis Schulte: Politik, Theologie, Predigt“, In: „Heidelberger Universitätsprediger. Kapitel 6 Kapitel und Studierendengemeinde: Universitätsgottesdienste nach 1948“, Theologische Fakultät Universität Heidelberg
Wennemuth, Udo (Hrsg.). Bildatlas zur badischen Kirchengeschichte. 1800-2021. Ubstadt-Weiher, Heidelberg, Speyer, Stuttgart, Basel, Karlsruhe 2021Karlsruhe 2021
Wind, Renate: „Traueransprache für Hannelis Schulte“, (2016) Online verfügbar unter: https://www.ekiba.de/media/download/variant/71819/schultehannelistraueransprache.pdf (zuletzt geprüft: 04.12.2023)
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