Elisabeth Zundel

Reutlingen
1919-1933
SPD

Elisabeth Zundel, geb. 1874 in Stuttgart-Heslach, Lehrerin

Sie gilt als eine der bedeutendsten Reutlinger Frauenrechtlerinnen und Politikerinnen, war 1919 dort eine der beiden ersten Gemeinderätinnen und ist im öffentlichen Gedächtnis doch fast vergessen: Elisabeth Zundel.

Elisabeth Zundel wird am 5. Oktober 1874 als drittes Kind von Wilhelmine Friederike Arnold und dem Kaufmann Jonathan Zundel in Stuttgart-Heslach geboren. Die Möglichkeiten für junge Frauen, einen qualifizierten Beruf zu ergreifen, sind im ausgehenden 19. Jahrhundert beschränkt; mit der Ausbildung zur Lehrerin verfolgt Zundel nach ihrer Schulzeit eine dieser wenigen Optionen. Nach ihrem Abschluss im Jahr 1903 findet sie eine Anstellung in der Gartenschule in Reutlingen, einer (damals) evangelischen Mädchenschule. Zundel lernt in dieser Zeit die drei Jahre jüngere Laura Schradin kennen und findet in ihr nicht nur eine Freundin, sondern auch eine Weggefährtin und Mitstreiterin im Kampf um Frauenrechte und die Belange von sozial Benachteiligten.

Ähnlich wie die Berufswelt erlaubt auch die Politik noch bis in das 20. Jahrhundert hinein Frauen kaum bzw. keine Beteiligung. Frauen dürfen weder das Wahlrecht ausüben noch sich in anderer Weise politisch betätigen. Um dagegen anzukämpfen, schließen sich Elisabeth Zundel wie auch Laura Schradin in den 1890er Jahren der Frauenrechtsbewegung an. Zundel ist Mitglied im Württembergischen Lehrerinnenverband, der sich offiziell rein für die beruflichen Interessen von Lehrerinnen einsetzt, tatsächlich aber auch Anlaufstelle der Emanzipationsbewegung ist und Frauen damit einen Weg bietet, das Verbot der politischen Betätigung zu umgehen. Über ihre Verbandsarbeit und die Emanzipationsbewegung ist Zundel vermutlich auch mit der damals in Stuttgart lebenden Frauenrechtlerin Clara Zetkin bekannt (die Übereinstimmung des Nachnamens von Elisabeth Zundel mit Zetkins Ehemann Georg Friedrich Zundel ist dagegen rein zufällig, die beiden sind nicht verwandt).

Am 19. März 1911 findet auf Clara Zetkins Initiative und in Anlehnung an den in diesem Jahr erstmals ausgerufenen Internationalen Frauentag auch in Reutlingen der erste Frauentag statt, an dem sich auch Elisabeth Zundel beteiligt. Während des Ersten Weltkrieges bringt sich Zundel in die "Reutlinger Kriegsflickwerkstätten" ein, eine Initiative Laura Schradins, die Arbeiterinnen in der schlecht zahlenden Rüstungsindustrie durch höhere Löhne finanziell unterstützt; mehr als 2000 Frauen finden dort eine Beschäftigung.

Nach der Einführung des Frauenwahlrechts im November 1918 lässt sich Elisabeth Zundel für die Gemeinderatswahl am 11. Mai 1919 als Kandidatin der SPD aufstellen - und wird mit 901 Stimmen gewählt. Damit liegt sie noch vor Laura Schradin, die 798 Stimmen erzielt, zusätzlich aber auch in den württembergischen Landtag einzieht. Die beiden Frauen sind damit die ersten (und für längere Zeit einzigen) Reutlinger Gemeinderätinnen. Gemeinsam mit den anderen SPD-Fraktionskollegen engagiert Zundel sich für bedürftige Menschen wie auch für sozial- und schulpolitische Reformen. Für die städtische Wohnungskommission und verschiedene Schulgremien, etwa das Kuratorium der Frauenarbeitsschule oder den Mädchenreal- und Gewerbeschulrat, übernimmt sie für ihre Fraktion die Führung des Protokollbuchs. Nachdem Laura Schradin 1925 ihr Mandat im Reutlinger Gemeinderat aus gesundheitlichen Gründen niederlegt, ist Zundel nun die einzige Frau im Kommunalparlament der Achalmstadt.

Zundels soziales Engagement lässt sie zu einer karitativen Leitfigur im Reutlingen der Weimarer Zeit werden. Sie richtet eine Warenbörse und eine Nähstube sowie eine städtische Schuh-Tauschstelle ein. Am 28. Februar 1921 wird bekanntgegeben, dass die Reutlinger Frauengruppe der SPD unter Leitung von Elisabeth Zundel einen Wohlfahrtsausschuss gebildet habe. Dies ist der Beginn der Reutlinger Arbeiterwohlfahrt (AWO). Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird die AWO im Mai 1933 verboten und aufgelöst. Die SPD-Gemeinderät*innen werden im gleichen Monat gezwungen, ihr politisches Mandat niederzulegen. Am 22. Juni 1933 wird schließlich die gesamte sozialdemokratische Partei verboten.

Auch auf Zundels Lehrerinnentätigkeit hat das Nazi-Regime Auswirkungen: Im November 1933 wird angekündigt, dass alle politisch angeblich nicht zuverlässigen Lehrkräfte entlassen werden sollen. Nach Ende des Schuljahres wird Zundel daraufhin am 1. April 1934 im Alter von 59 Jahren unter Kürzung ihrer Bezüge in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Die Jahre 1933 bis 1945 verbringt Zundel, die auch aufgrund ihres Lehrerinnenberufs nicht geheiratet und keine Familie gegründet hatte, zurückgezogen. Sie tritt nicht in die NSDAP ein, wird jedoch nach einer Hausdurchsuchung auf dringendes Anraten Anderer Mitglied im NS-Frauenwerk. Zudem führt sie fünf Jahre lang die Mitgliederliste der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, die alle AWO-Mitglieder nach der Auflösung des Vereins übernommen hatte. Als sich nach dem Ende von Zweitem Weltkrieg und Nationalsozialismus die AWO 1946 auf regionaler Ebene als Württembergischer Wohlfahrtsbund neu gründet, tritt die damals 70jährige Zundel nicht wieder ein.

Das Engagement für hilfsbedürftige Menschen bleibt jedoch nach wie vor Elisabeth Zundels Lebensmittelpunkt. Ihr Haus in der Schlegelstraße 31 in Reutlingen, wo sie seit 1923 mit ihrer Mutter, später auch mit den Geschwistern wohnt, wird unter dem Namen "Zundelei" zum Treffpunkt für Freund*innen sowie zur Bleibe für Geflüchtete und Pflegekinder, für die sie bis ins hohe Alter Verantwortung übernimmt. 1956 zieht sie in das Städtische Altenheim. Am 27. Juli 1957 verstirbt Elisabeth Zundel im Alter von 82 Jahren.

Trotz ihres unermüdlichen sozialen Engagements und ihres Einsatzes in der Reutlinger Kommunalpolitik gerät die Frauenrechtlerin und Politikerin weitgehend in Vergessenheit. Lediglich die Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt erinnert bei Stadtführungen oder Ausstellungen an Zundels Wirken. Mit der Eröffnung des Elisabeth-Zundel-Hauses, einer Anlauf- und Beratungsstelle der AWO für obdachlose Frauen, wird seit 2010 das Wirken einer der wichtigsten Frauen des öffentlichen Lebens in Reutlingen gewürdigt. Die Riege der Reutlinger Ehrenbürger setzt sich allerdings auch im Jahr 2021 nur aus Männern zusammen.

Autorin: Nora Plemper


Bildnachweis: Heimatmuseum Reutlingen

Quellen:
AWO Reutlingen Jubiläumsbroschüre: AWO Reutlingen von 1921 bis 2021. URL: https://awo-reutlingen.org/100-jahre-awo-reutlingen/ (Zugriff 07.07.2021).
Seischab, Steffen: Ein Leben für andere. In: Reutlinger Generalanzeiger, 20.10.2010. URL: https://www.gea.de/reutlingen_artikel,-ein-leben-f%C3%BCr-andere-_arid,1609004.html (Zugriff 07.07.2021).
Seischab, Steffen: Porträt einer Vergessenen: Elisabeth Zundel und ihr Leben für Reutlingen. In: AWO im Kreis Reutlingen: AWO Ortsverein Reutlingen e.V. https://archive.ph/20121217214700/http://www.joomla.awo.domainfactory-kunde.de/index.php?option=com_content&view=article&id=160:elisabethzundel&catid=3:allgemein&Itemid=134#selection-495.0-495.72 (Zugriff 07.07.2021).
Stelzer, Matthias: Die Arbeiter-Wohltäterin. Elisabeth Zundel wird Namensgeberin der Obdachlose-Zuflucht für Frauen. In: Schwäbisches Tagblatt, 06.10.2010.
Stelzer, Matthias: Ein Haus voller Frauenzimmer. Das Elisabeth-Zundelhaus wird ein modellhafter Anlaufpunkt für Frauen in Wohnungsnot sein. In: Schwäbisches Tagblatt, 06.10.2010.
Stelzer, Matthias: Mit Engelszungen. Frauen in die Ehrenbürger-Etage! In: Schwäbisches Tagblatt, 06.10.2010.


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