Charlotte Armbruster
Stuttgart
1919-1933 Zentrum
1946-1950 CDU
Autor/in: Mascha Riepl-Schmidt
Charlotte Armbruster (1886-1970)
"Die personifizierte Fürsorgerin des Gemeinderats". So charakterisiert Eugen Eberle Charlotte Armbruster. Streng blickt sie vom Foto, unantastbar und selbstbewusst, zufrieden. Vielleicht ein bisschen zu selbstgerecht, aber auch leicht amüsiert. Dem gut frisierten, knotentragenden, schmalgesichtigen "Fräulein" ist nicht anzusehen, daß es eine der ausdauerndsten kommunalpolitischen Karrieren in Stuttgart hinter sich hat.
Gewählt als eine von vier Frauen unter 65 Stadträten im Jahre 1919 - dem Jahr, in dem die Frauen zum erstenmal das gleiche, geheime, direkte und allgemeine Wahlrecht ausüben durften - hat sie 40 Jahre lang - mit einer Unterbrechung von 1933 bis 1945, als Frauen als politisch nicht belastbar und nicht als Mandatsträgerinnen eingestuft wurden - das Amt einer Stadträtin ausgeübt. Ausdauernd, erfolgreich, geschickt agierend, streitbar und schlau hat sie in diesem Männergremium gewirkt. Ihr Nebensitzer war Eugen Eberle (1908-1996), der als Stadtrat von 1946 bis 1959 im Wirtschaftsausschuss tätig war. (Für Sitzungen gab es übrigens 1919 noch keine Aufwandsentschädigungen; ab 1945 wurden dann für eine Sitzung bis 19 Uhr 15 Mark, für die längeren 30 Mark bezahlt, was die "Diätenschwätzerei" nach sich zog.)
Die extremen K's saßen da nebeneinander: sie, die Katholikin und Zentrumspolitikerin, seit 1945 CDU-Mitglied - er, der Kommunist und später Parteilose, beide hoch diszipliniert und dem Volke dienend. Eberle bezeichnete sie im Interview 1989 als eine Frau, die ihr Christentum gelebt hat, ohne dogmatisch-moralisierend zu sein. Er verehrt sie heute noch als "beste Bettlerin aller Zeiten", die nichts für sich wollte, sondern nur für andere. Ihr Hildegardisheim, ein Mädchenwohnheim für 40 Hausgehilfinnen und ortsfremde Mädchen, das von 1947 bis 1949 in der Olgastraße entstand - ein Unternehmen, das sie trotz der Währungsreform fertigstellen konnte - , war nur der Anfang einer langen Reihe von sozialen Aufgaben, für die sie sich einsetzte und die sie auch durchsetzte.
Als viertes Kind von insgesamt sieben Kindern wurde sie am 7. November 1886 in Stuttgart geboren. Aufgewachsen ist sie im Eisenbahndörfle. […] Die Familie lebte in bescheidenen, wohlgeordneten Verhältnissen. […] Das Schulmädchen Charlotte hatte einen weiten Fußweg vom Stuttgarter Norden bis zur Stadtmitte, wo es die Schlossschule besuchte. Hier unterrichteten auch katholische Schwestern. Nach acht Jahren Volksschule durfte sie noch ein hauswirtschaftliches Jahr in der Töchterschule (später St. Agnes) absolvieren. In Kursen bildete sie sich weiter, hat beim "Daimler" eine kaufmännische Lehre gemacht und anschließend als kaufmännische Angestellte gearbeitet. […]
Zwischen den Jahren 1905 und 1910 lebt sie in Berlin, um sich dort in Kursen zur Fürsorgerin zu qualifizieren. Sie kehrt nach Stuttgart zurück und arbeitet von 1914 bis 1943 mit einem Anfangsgehalt von 100 Reichsmark als Fürsorgerin der Stadtverwaltung Stuttgart im Außendienst im Stadtteil West, wo sie sich um kranke und arme Familien kümmert. […]
Das Kriegsende (Versailler Verträge und die damit verbundenen Reparationszahlungen) und die Revolution 1919 bedeuteten auf Grund der neuen demokratischen Regierungsform auch eine Neustrukturierung der Verwaltungsaufgaben im kommunalen Bereich und in den Gemeinderatsausschüssen. Trotz oder gerade wegen der Übergangsschwierigkeiten hat Charlotte Armbruster sich mit der für sie typischen Emanzipiertheit auf der Liste der Zentrumspartei zur Gemeinderatswahl gestellt - einer Partei, die explizit gegen das Frauenwahlrecht gewesen war - , um durch ihre Arbeit als Gemeinderätin ihren sozialen Anliegen und Forderungen ein politisches Forum zu geben.
Sie wurde zusammen mit drei anderen Vertretern ihrer Partei gewählt. Drei weitere gewählte Frauen waren Ella Ehni (DDP), ab 1921 auch Vorsitzende des Verbandes der württembergischen Frauenvereine, Josefine Giese und Marie Josenhans (beide Württembergische Bürgerpartei). Sie waren als Pfarrerswitwe und Schriftstellerin die weiblichen Vertreter einer weitaus größeren Fraktion. Erstaunlicherweise gab es in den Fraktionen von SPD und USPD keine Frauen.
Oberbürgermeister Karl Lautenschlager, dessen Frau Emma Lautenschlager die Vorsitzende des Schwäbischen Frauenvereins war (1923-1934 und 1948-1951), stand den frauenbewegten Frauen und ihrem sozialen, bildungs- und berufsorientierten Engagement sicher nicht ablehnend gegenüber, aber zuerst galt es wiederum, die Versorgungslage zu normalisieren. Rationierungen (Brot, Milch, Zucker) waren noch bis in die zwanziger Jahre hinein notwendig, ehe eine vorübergehende Besserung eintrat. Wohnungsnot und Kriegsinvalidität, Familien- und Kinderfürsorge (Ferienerholungsprogramme) waren weiter dringliche Themen der sozialen Fürsorge, ob sie nun kommunal oder mit privaten religiös orientierten Verbänden gelindert werden sollten. Charlotte Armbruster erfüllte diese Aufgaben auch noch innerhalb des Caritasverbandes, der für Stuttgart 1917 gegründet wurden.
Im Gemeinderat wurde sie bis zum 28. Dezember 1933 alle sechs Jahre wiedergewählt, dann hat man die sechs amtierenden Frauen, Emma Greiner und Maria Walter von der Kommunistischen Partei, Christine Evert von der SPD, Dr. Vilma Kopp von der DDP und Agnes Kiefer von der DNVP, aus diesem Gremium hinauskomplimentiert. Dass das Zentrum ebenfalls für das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte, blieb für Charlotte Armbruster immer ein Grund zur schonungslosen Kritik an ihrer Partei.
Fragen wir uns heute, ob Charlotte Armbruster mit ihrem "Fräuleinleben", das sie unverheiratet und ohne große eigene Besitzansprüche gelebt hat, zufrieden war, so ist zu bedenken, dass sie fast immer in einem großen Familienzusammenhang gelebt hat und dass sie über ihre politische und konfessionsorientierte Arbeit stets im Mittelpunkt eines großen engagierten Mitarbeiterkreises stand. […]
Charlotte Armbruster ist ab 26. Mai 1946 bis Ende 1959, als sie altershalber ausscheidet, wieder Stadträtin. Wie keine zweite weiß sie, wo Geldhähne anzuzapfen sind, sie ist gefürchtet, aber auch geachtet. Oberbürgermeister Dr. Arnulf Klett wurde ebenso von der Dringlichkeit ihrer Anliegen, zum Beispiel im Wohnungsausschuss, überzeugt wie der in diesem Bereich ebenso engagierte Eberle, den sie mit "einem Bonbonle" köderte, wenn sie dachte, er könnte nicht mit ihr zusammen abstimmen. […]
Als sie am 23. September 1970 nach kurzer Krankheit starb, war eine Frau der ehernen Garde der alten Stadträte gestorben, die in ihrer gesellschaftspolitischen Reife und Uneitelkeit heute so nicht mehr vorstellbar ist.
Sie wurde auf dem Pragfriedhof begraben.
Nachweise
Langfassung erstmals veröffentlicht in:
Maja (d.i.) Mascha Riepl-Schmidt: Wider das verkochte und verbügelte Leben. Frauenemanzipation in Stuttgart seit 1800, Stuttgart 1990, S. 278-284
Bild: Stadtarchiv Stuttgart
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